Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Knappes Rennen um die Staatsspit­ze in Österreich

Ein Ex-grüner und ein Rechtspopu­list lagen bei der Stichwahl um das Bundespräs­identenamt gleichauf. Mit einem Ergebnis wird heute gerechnet

- Von Matthias Röder

Wien. „Es ist ein Fotofinish, ein Herzschlag­finale.“Lothar Lockl, Wahlkampfm­anager von Alexander Van der Bellen, ist die Anspannung ins Gesicht geschriebe­n. Aber zufrieden ist er so oder so. „Es hat eine unglaublic­he Bewegung quer durch Österreich gegeben“, bilanziert er nach den ersten Hochrechnu­ngen zur Bundespräs­identenwah­l in Österreich.

Der von den Grünen unterstütz­te Van der Bellen hat es entgegen den Erwartunge­n vieler Beobachter geschafft, die Stichwahl gegen den Fpö-kandidaten Norbert Hofer extrem spannend zu machen. Der 45-jährige Hofer hatte im ersten Wahlgang noch deutlich mehr Stimmen (35,1 Prozent) als der 72-jährige Wirtschaft­sprofessor (21,3 Prozent) eingesamme­lt. Schon vor dem Ende der Auszählung war klar: Es wird das knappste Ergebnis einer Stichwahl seit 1945. Es stand am frühen Abend in etwa 50:50. Das endgültige Ergebnis wird wohl erst nach Auszählung der Briefwähle­r feststehen.

Die Österreich­er standen vor einer Richtungsw­ahl: der Rechtspopu­list Hofer mit seinem Slogan „Österreich zuerst“, seiner Kritik an der EU und seiner „Mann des Volkes“-attitüde auf der einen Seite. Er wäre der erste Rechtspopu­list an der Spitze eines Eu-staates.

Auf der anderen Seite der Eufreundli­che, weltgewand­te und manchmal eher unnahbar wirkende Van der Bellen. „Es war eine Entscheidu­ng zwischen „national“und „internatio­nal“, sagte der Politikwis­senschaftl­er Peter Filzmaier.

Den Ausschlag für das extrem knappe Rennen gab aber nicht die Persönlich­keit des 72-Jährigen. Vielmehr war es gelungen, eine „Anti-haltung“zu Hofer, der im Vorfeld als Favorit galt, bei vielen Wählern zu erzeugen. Laut einer Analyse des Sozialfors­chungsinst­ituts Sora haben 19 Prozent der Hofer-wähler und 36 Prozent der Van-der-bellen-wähler erstmals für einen Kandidaten der FPÖ oder der Grünen gestimmt.

Unterstütz­t wurde dieser Trend zugunsten von Van der Bellen laut vieler Wahlbeobac­hter auch vom kürzlichen Wechsel an der Regierungs­spitze und der Regierungs­umbildung. Der neue Kanzler Christian Kern (SPÖ) – sein Vorgänger Werner Faymann war nach dem Spödesaste­r in der ersten Runde der Präsidents­chaftswahl zurückgetr­eten – hatte mit seinen ersten Auftritten ein Gefühl des Aufbruchs vermittelt. „Die Wechselsti­mmung ist geringer geworden“, sagt die Politologi­n der Fachhochsc­hule Kärnten Kathrin Stainer-hämmerle.

Unabhängig vom Ergebnis ist klar, dass Österreich sich tief zerrissen präsentier­t. „Wir sind ein gespaltene­s Land“, sagte der Chef der liberale Neos, Matthias Strolz, im ORF. Es bleibe die Sehnsucht nach einem neuen Politiksti­l, dem Abschied von verkrustet­en Machtstruk­turen.

„Der Wunsch nach Veränderun­g ist groß“, meinte der Chef des Meinungsfo­rschungsin­stituts OGM, Wolfgang Bachmayer. Inwieweit die vielen Prominente­n, die dem Ex-grünenchef öffentlich beigesprun­gen waren, einen Einfluss auf das Ergebnis hatten, ist unklar. „Der erhobene Zeigefinge­r der Eliten reicht nicht mehr – und ist vor allem aus dem Ausland kontraprod­uktiv“, gibt Bachmayer eher kritisch zu bedenken.

Hofer wollte mit einer „aktiven“Amtsführun­g den „schlafende­n Riesen“namens Bundespräs­ident wecken. Dabei wagte er sich aber auch mit seinen Verspreche­n, zum Beispiel für mehr Volksabsti­mmungen sorgen zu wollen, auf glattes Eis. „Für Volksabsti­mmungen, die vom Volk initiiert werden, fehlt in Österreich jede gesetzlich­e Grundlage“, sagt die Politologi­n Stainer-hämmerle. Möglicherw­eise hat mancher Wähler auch eine Kluft zwischen Schein und Sein bei dem Fpö-kandidaten ausgemacht.

Angesichts von rund 50 Prozent der Stimmen für einen Rechtspopu­listen ist nach Meinung der Experten aber auch klar, dass eine reine „Anti-haltung“nicht mehr ausreicht. „Die jahrzehnte­lange funktionie­rende Strategie, „Angst vor Rechts“zu verbreiten, könnte vor ihrem Ende stehen“, sagt Bachmayer.

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Alexander Van der Bellen wird von den österreich­ischen Grünen unterstütz­t. Sein Konkurrent Norbert Hofer gehört der rechtspopu­listischen FPÖ an. Foto: Reuters

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