Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Das Ende der alten Ordnung
Es ist noch ein bisschen Zeit. Ein gutes Jahr. Aber in den Parteien macht man sich natürlich längst Gedanken, über die Wahlkreise, die Listen, die Kandidaten, kurzum: über die Bundestagswahl 2017. Es wird die spannendste seit Langem.
Das für Thüringen Offensichtliche ist schnell geklärt. Die CDU wird wohl wieder mit Manfred Grund an der Spitze antreten. Das hat weniger damit zu tun, dass alle so sehr begeistert sind von ihm, sondern damit, dass er nun mal der Landesgruppenchef ist – und, dies ist wichtiger: dass er aus dem Eichsfeld kommt.
In der SPD stellt sich die mäßig interessante Frage, ob Carsten Schneider oder Iris Gleicke vorne steht. Die Partei muss angesichts der Umfragen sogar damit rechnen, dass es diesmal nur für diese zwei Abgeordnete reicht. Derzeit sind es noch drei.
Die Linke dürfte Martina Renner für Platz 1 aufstellen. Nach dem Desaster beim letzten Bundestagswahllistenparteitag (die nominierte Birgit Klaubert fiel durch, weshalb Kersten Steinke einsprang) benötigt die Partei eine echte Spitzenkandidatin – auch mit Blick auf das, was in der Partei nach Bodo Ramelow kommen mag.
Damit sind wir bei der AFD, die sich mit Björn Höcke präsentieren wird. Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass er Frauke Petry allein nach Berlin ziehen lässt. Deutschland braucht ihn, jedenfalls das Deutschland, das einem Björn Höcke so vorschwebt.
Auch bei den Grünen ist alles entschieden. Katrin Göring-eckardt hat sich – Urwahl hin oder her – schon jetzt die bundesweite Spitzenkandidatur gesichert. Die Landespartei kann damit gar nicht anders, als sie zum sechsten Mal in Folge als ihre Bundestagsabgeordnete zu nominieren.
Bleibt die FDP. Es ist zwar keineswegs gewiss, dass die Partei wieder in den Bundestag einzieht. Aber die Liberalen wirken halbwegs reanimiert, weshalb es Landeschef Thomas Kemmerich sicher mit dem Bundestag versuchen wird. Doch weil die FDP die FDP ist, wird er ebenso sicher einen Gegenkandidaten bekommen. Wir tippen mal auf Patrick Kurth.
So, fragt jetzt zu Recht der geschätzte Leser, was soll bitte daran spannend sein? Nun, das Spannende ist, dass im Bundestag erstmals sechs Fraktionen sitzen könnten, mit allen Konsequenzen für die Mehrheitsbildung. Oder vielleicht, wer weiß, sind es gar sieben – falls sich die CSU doch noch dazu entschließt, eigenständig anzutreten.
Die Rechenspiele haben begonnen. 2013 kamen Union und SPD gemeinsam auf 67,2 Prozent. Jetzt sind es in den Umfragen noch 53 bis 56 Prozent, mit fallender Tendenz. Für Schwarzgrün wird es knapp, für Rot-rot-grün reicht es nicht, für Rot-grün schon gar nicht. Am Ende, wenn die AFD noch stärker wird, bliebe nur das neue Magdeburger Modell: Union-spd-grün. Wobei, da würde wohl die CSU nicht mitmachen.
Entsprechend eng wird es auch in den auf acht zusammengeschrumpften Thüringer Wahlkreisen. Die neun Cdu-abgeordneten, die zuletzt alle Kreise direkt gewannen, müssen sich nicht nur wegen des Wegfalls von effektiv zwei Mandaten Sorgen machen. Ändert sich der Bundestrend nicht, könnte es für einige Beteiligten bitter werden.
Ist dies also das Ende der altbundesrepublikanischen Ordnung, wie es schon seit Jahrzehnten eher vergeblich beschworen wird? Tatsächlich koaliert ja inzwischen jeder mit jedem, einmal abgesehen von der Partei, die, wenn sie sich auch fürderhin Alternative nennen will, nicht koalieren darf. Ansonsten gibt es grüne und rote Ministerpräsidenten, die Ampel und Kenia. Alles scheint möglich.
Überhaupt weiß ja niemand, was die nächsten Monate so bringen. Wieder mehr Flüchtlinge? Die Rückkehr der Euro-krise, die nie richtig weg war? Den Brexit? Donald Trump?
Die Bundestagswahl 2017 wird widerspiegeln, was viele als die neue, große Unsicherheit empfinden. Egal, was am Ende dann herauskommt: Groß dürften die Mehrheiten nicht mehr sein.
Die Zeiten ändern sich.