Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Der 22.Turm
Es sollen 21 sein. 21 Türme, auf die die Stadt Erfurt stolz ist, die sie prägen, die ihr im Mittelalter den Beinamen „Erfordia turrita“eintrugen, das türmereiche Erfurt. Nun soll der Stadt ein 22. Turm hinzugefügt werden, ein kleiner. Und die Debatte darum fühlt sich zu Teilen an, als wären wir wieder im Mittelalter.
In Europa geht eine diffuse Angst um vor dem Islam – und die primäre Verantwortung dafür tragen Menschenverächter, die dem Islam anhängen, die ihre Religion als Triebkraft für diese Morde in Anspruch nehmen. Wer sich mit der Islamphobie und ihren Folgen befasst, ist gut beraten, diese Sorgen und Ängste ernst zu nehmen, denn sie sind ernst. Was bedeutet, auch öffentlich darüber zu reden, dass mit dem Islam massenhaft Wertvorstellungen nach Deutschland kommen, die mit den unseren kaum kompatibel sind. Das Problem Islam hat sich nicht die AFD ausgedacht – sie hat es nur dankbar und freudig angenommen. Ohne den Islam, ohne das Flüchtlingsproblem, wäre diese Partei da, wo sie hingehört: in den Vereinszimmern einiger Dorfkneipen.
Und nun ist sie wieder mitten unter uns, weil am Rande der Stadt die Errichtung einer Moschee droht. Und auf dem Dom, in dessen Weichbild in der vergangenen Woche wieder einmal der Untergang des Abendlandes prophezeit wurde, herrscht perspektivisch der Halbmond. Der Demagoge Höcke weiß natürlich, was für ein Unsinn das ist, aber es schwadroniert sich gut in so diffus wabernder Atmosphäre.
Dabei zeigt diese Debatte um die Moschee bei Marbach die Irrationalität mancher Bürger und die gemeingefährliche – weil den Frieden der Gemeinschaft gefährdende – Hemmungslosigkeit der politischen Nutznießer.
Diese Moschee der Ahamadiyya wäre im Stadtbild nicht wahrnehmbar, sie käme im Alltag der Stadt nicht vor, sie wäre so auffällig wie ein Bratwurstverzehrer. Der Umstand allein steht schon für die Situation: Einen Bauplatz in der Stadt würde man der Gemeinde wohl verweigern, man schiebt sie gern ab in die Unauffälligkeit. Das ist ein halbherziger Kompromiss, der einerseits Toleranz signalisieren soll – und andererseits Ruhe haben will in der Stadt. Eine Moschee, die für unsere Weltoffenheit stünde, die gehörte in die Stadt, nicht an den Rand. Und dass Christen in der Welt des Islam eine verfolgte Minderheit sind, ist kein Argument gegen die Einhaltung der Grundsätze unseres Begriffs von Gesellschaft und Freiheit.
Und es wäre eine Moschee für eine kleine, sehr kleine Minderheit. Die Ahamadiyya sind in der Perspektive der muslimischen Mehrheitsgesellschaft Häretiker des Islam, sie gelten in vielen Ländern offiziell als nichtmuslimisch. So erhalten sie etwa keine Visa für die Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mekka. Dabei, die Gemeinde beruft sich auf den Koran und den Propheten Mohammed – und zugleich trennt sie Mohammed unüberwindlich von der islamischen Mehrheit.
Denn anders als gemeinhin „das Siegel des Propheten“verstanden wird, hält die Gemeinde ihren Gründer Mirza Ghulam Ahmad für einen weiteren Propheten, was nach der islamischen Mehrheitsmeinung die Ahamadiyya aus der weltweiten Gemeinschaft des Islam ausschließt. Da die Tradierungen, die Tradition grundlegend sind für eine Religion, wird diese Gemeinde, trotz ihrer aktiven Missionsarbeit, kaum je über den Rang einer Sekte hinausgelangen.
Die Ahamadiyya besitzen in zwei deutschen Bundesländern den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, was eine kluge Entscheidung ist. Denn es gibt kaum eine andere muslimische Struktur, mit der sich so unkompliziert über Toleranz und Akzeptanz reden lässt, hier wird, im Kontext der Problematik, ein liberaler Islam gepredigt und gelebt. Das Gespräch mit den Ahamadiyya auf nationaler und regionaler Ebene wird neben ihrer Liberalität auch durch ihre Struktur begünstigt, sie ist klein, überschaubar und straff hierarchisch, wer das Gespräch mit ihnen sucht, hat klare Ansprechpartner, die verbindliche Aussagen treffen können. Und wenn man dieser Gemeinde klare Statements, etwa zu Attentaten, zu Verbrechen der Islamisten abfordert und erhält, dann erhielte man zugleich ein Maß für die übrigen Vertreter des offiziellen, des organisierten Islam in Deutschland. Denn deren Aussagen zu solchen Fragen lassen an Hörbarkeit und Deutlichkeit gelegentlich zu wünschen übrig.
Es gibt wohl kaum eine andere, definierte und strukturierte Richtung des Islam, mit der eine tatsächliche Lebens-gemeinschaft so unkompliziert ins Werk zu setzen ist wie die Ahamadiyya. Wenn wir schon ein Problem mit dieser kleinen Moschee dieser kleinen, relativ liberalen Gemeinschaft am Rande der Stadt haben: dann Gnade uns Gott. Oder wer auch immer.