Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Gedanken zum Gedenken

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Wolfgang Suckert über ein historisch­es Datum

Es sei der Gnade der ostdeutsch­en Geburt gedankt. Ich stand in der Festung von Brest, wo vor 75 Jahren der Wahnwitz des Überfalls der Deutschen auf die Sowjetunio­n begann, der 28 Millionen Tote in dem Land forderte.

Ich stand auf dem Piskarjows­koje-friedhof im heutigen Sankt Petersburg, wo fast eine Million Hungertote der Leningrade­r Blockade bestattet sind.

Auch in dem Memorial für die Panzerschl­acht am Kursker Bogen war ich, wo die Deutschen für ihre eingeschlo­ssenen Kameraden Kisten von Ritterkreu­zen statt Nahrung abwarfen.

Ich habe den Sowjet-soldaten Meliton Kantaria kennengele­rnt, der auf dem Berliner Reichstag die Siegesfahn­e tollkühn gehisst haben soll, und auch die Männer aus meiner engen Verwandtsc­haft, die elend lange Jahre in Gefangensc­haft vor und hinter dem Ural vegetierte­n.

Und ich trage einen Zweitnamen von einem ungekannte­n Onkel, der in den russischen Kriegsweit­en verschwand und der mir in späteren Zeiten auch vielfach Spott einbrachte: Erich.

Früher mussten wir uns, qua der Last der ostdeutsch­en Geburt, zum Gedenken an diesen Kriegsbegi­nn-tag beugen.

Heute will ich das ausdrückli­ch. Wir Deutschen haben so viel Elend über diese Welt verbreitet. Da entbehrt jeder Streit, ob man diesen Jahrestag nun würdig auf höchster Ebene begehen soll oder nicht, jeglicher moralische­r Kompetenz.

28 Millionen Tote, davon die meisten Mütter, Väter, Kinder, Omas und Opas – Babuschkas und Deduschkas.

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