Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

„Männer können sich nicht immer wehren“

In Gera entsteht derzeit die erste Gewaltschu­tzwohnung Thüringens für betroffene Männer

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Wir zahlen in diesem Probejahr nur die Hälfte der Betriebsko­sten, das sind 35 Euro. Auf unserem Spendenkon­to haben wir knapp 1500 Euro, das reicht also zunächst für die Wohnung. Auch Möbel für die Wohnung mussten wir nicht kaufen, weil sie uns geschenkt wurden. Die Einrichtun­g der kompletten Küche hat das Wohnungsun­ternehmen übernommen. Was in einem Jahr sein wird, bleibt abzuwarten.

Befürchten Sie negative Reaktionen aus der Nachbarsch­aft? Nein, das glaube ich nicht. Die Wohnung befindet sich in einem Mehrgescho­sser und ist ein sanierter Neubau, der noch in der DDR gebaut wurde. Das heißt, dort leben viele Menschen.

In welchem Stadtteil befindet sich die Wohnung? Wir halten diese Wohnung anonym und werden das auch in der Zukunft so tun. Denn es ist eine Schutzwohn­ung. Der Mann darf für die gewalttäti­ge Frau nicht mehr erreichbar sein. In einem Jahr sind wir klüger, ob unsere Rechnung aufgegange­n ist.

Warum wurde die Wohnung für ein Jahr befristet? Sind Gewaltschu­tzwohnunge­n für Männer vielleicht gar nicht nötig? Doch, das sind sie. Ich mache diese Beratung seit Jahren. Aber wir wollen mit der Begrenzung zum einen sehen, ob der Vermieter und wir wirklich so gut zusammenpa­ssen, wie wir das jetzt glauben und erleben. Und zum zweiten steht natürlich die Frage, ob Männer sich trauen, in diese Wohnung zu gehen.

Aber den Bedarf gäbe es? Ja, wir haben doch die Thüringer Zahlen entspreche­nd einer kleinen Anfrage im Landtag vorliegen. 2012 hat die Polizei 824 Männern helfen müssen, 2013 waren es 810 und ein Jahr später 636 Männer. Allein diese Zahlen, die gar nicht die viel größere Dunkelziff­er berücksich­tigen können, beweisen die Notwendigk­eit einer solchen Wohnung. Allerdings fehlt oft der Hinweis auf mögliche Hilfen für Männer.

Geht die Gewalt von Frauen aus? Ja, in der übergroßen Mehrheit sind es heterosexu­elle Partnersch­aften, in denen die Männer diese Gewalt erleben. Es sind also zumeist die Partnerinn­en, die gewalttäti­g werden. Das sind nicht immer Schläge, das sind auch psychische Gewalt und Mobbing.

Wie erfahren Männer von der neuen Schutzwohn­ung? Wir arbeiten gerade an Informatio­nsmaterial­ien speziell für Ostthüring­en, aber auch für das gesamte Land. Diese Informatio­nen gehen an die Netzwerke, an alle Gleichstel­lungsbeauf­tragten und auch an Familien- und Beratungss­tellen, an den Gleichstel­lungsaussc­huss, an die Thüringer Ärztekamme­r und an Trauma-ambulanzen in Thüringen.

Welche Aufgabe haben Sie als ehrenamtli­cher Betreuer dieser Wohnung? Wir haben eine Nutzungsor­dnung aufgesetzt, an die sich die Männer halten müssen. Dazu zählen das Alkoholver­bot und auch das Verbot anderer Drogen, das Verbot von Frauenbesu­ch und eine entspreche­nde Sauberkeit. Das Wohnungsan­gebot ist niedrigsch­wellig. Das heißt also, wir vermitteln aus dieser Wohnung heraus Fachleute in den Beratungs- und anderen Hilfsstell­en. Oft hilft auch schon das einfache Zuhören, weiß ich aus meiner langjährig­en Arbeit. Die Männer sind froh, sich ein wenig die Last von der Seele reden zu können. Solche Gespräche biete ich ja seit 2007 an. Damals habe ich die

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Projektkoo­rdinator Tristan Rosenkranz vom Verein „Gleichmaß“in Gera. Foto: Esther Goldberg

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