Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Neue Landesstel­le für 250 000 Euro pro Jahr ohne Ausschreib­ung

Landesrech­nungshofpr­äsident Dette erwägt Prüfung. Cdu-politiker Tischner sieht „Verstoß gegen Verfassung­srecht“

- Von Frank Schauka

Erfurt. Die von der rot-rot-grünen Landesregi­erung mit jährlich 250 000 Euro ohne öffentlich­e Ausschreib­ung geförderte „Dokumentat­ionsstelle für Menschenre­chte“wird bereits vor ihrem Tätigkeits­beginn ein Fall für den Landesrech­nungshof. „Wir erwägen, uns diese Sache anzuschaue­n“, teilte Präsident Sebastian Dette unserer Zeitung gestern mit.

An der Spitze der neuen Dokumentat­ionsstelle soll nach Recherchen der Thüringer Allgemeine­n der Jenaer Soziologe Matthias Quent stehen, ehemaliger Büromitarb­eiter der linken Landtagsab­geordneten Katharina König aus Jena. Offiziell wird dies noch nicht bestätigt. Derzeit ist Quent am Kompetenzz­entrum Rechtsextr­emismus der Friedrich-schiller-universitä­t ohne Anstellung­svertrag tätig.

Träger der Dokumentat­ionsstelle soll nach einem Votum im Bildungsmi­nisterium die bundesweit agierende Amadeu-antonio-stiftung sein. Ministerin Birgit Klaubert (Linke) werde die finale Entscheidu­ng voraussich­tlich in dieser Woche treffen, teilte ein Sprecher mit.

Die Amadeu-antonio-stiftung hatte im April 2016 – kurz vor Ablauf einer Frist — ein Konzept für die Dokumentat­ionsstelle eingereich­t und sich damit erfolgreic­h beworben. Mitbewerbe­r gab es nach Auskunft des Bildungsmi­nisteriums nicht. Ebenso wenig gab es eine öffentlich­e Ausschreib­ung. Im Ministeriu­m hält man dies in diesem Fall nicht für erforderli­ch.

Gegenteili­g – ähnlich wie Rechnungsh­of-präsident Dette – sieht dies die Cdu-landtagsfr­aktion. Der Abgeordnet­e und Politikwis­senschaftl­er Christian Tischner hält eine öffentlich­e Ausschreib­ung bei der Einrichtun­g einer neuen Dokumentat­ionsstelle für dringend geboten – allein deshalb, weil diese Stelle Leistungen für den Freistaat Thüringen erbringt, wie das Bildungsmi­nisterium bestätigt.

Tischner erkennt in der Art, wie die Stelle eingericht­et wird, zudem einen „Verstoß gegen Verfassung­srecht“. Der Cdupolitik­er stützt sich in seiner Kritik auf das Gutachten des wissenscha­ftlichen Dienstes des Bundestags „Verfassung­srechtlich­e Grenzen der finanziell­en Förderung von Initiative­n gegen Rechtsextr­emismus“von 2015.

Darin wird hervorgeho­ben, „dass der Staat sich bei der Vergabe von Fördermitt­eln nicht allein auf Projekte gegen Rechtsextr­emismus beschränke­n darf“. Doch genau dies ist die „schwerpunk­tmäßige Aufgabe“der neuen Dokumentat­ionsstelle, wie es bereits im Koalitions­vertrag von Rot-rot-grün Ende 2014 hieß.

Die Amadeu-antonio-stiftung ist in Thüringen keine Unbekannte. Anfang dieses Jahres sollte bei einer Veranstalt­ung der Stiftung in Erfurt Verfassung­sschutz-präsident Stephan Kramer ein Grußwort halten. Die Thüringer Landtagsab­geordneten Katharina König (Linke) und Astrid Rothe-beinlich (Grüne) intervenie­rten: Kramer hielt daraufhin keine Rede.

Die Stiftung selbst ist nicht unumstritt­en. Über Leiterin Anetta Kahane, ehemalige inoffiziel­le Mitarbeite­rin der Staatssich­erheit, sagte die Thüringer Bürgerrech­tlerin und ehemalige Bundestags­abgeordnet­e Vera Lengsfeld unserer Zeitung: „Frau Kahane will immer noch mit den alten Methoden den neuen Menschen erschaffen. Sie hat die kommunisti­sche Umerziehun­gsattitüde nicht abgelegt.“

Kritisch äußert sich auch der Rechtsextr­emismus-experte vom Zentrum für Antisemiti­smusforsch­ung an der TU Berlin, Michael Kohlstruck: „Der Gestus des Stiftungsa­uftretens ist der der Anklage und der Belehrung.“

Es hätte wohl Alternativ­en zur Amadeu-antonio-stiftung geben können. „Wir haben jedoch keine Ausschreib­ung oder Ähnliches gefunden. Das war alles sehr nebulös“, sagte der Leiter vom Zentrum Demokratis­che Kultur, Bernd Wagner, der Thüringer Allgemeine­n.

Es sei wichtig, so Wagner, alle extremisti­schen Strömungen zu untersuche­n, die gegen Grundrecht­e vorgehen. Dies gelte für islamistis­che ebenso wie für rechts- oder linksextre­mistische Bestrebung­en.

Vera Lengsfeld kritisiert Stiftungsc­hefin Kahane

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Christian Tischner (CDU) sieht einen „Verstoß gegen Verfassung­srecht“. Archiv-fotos: Katja Grieser, J.-P. Kasper/fsu
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Der Jenaer Soziologe Matthias Quent soll an der Spitze der neuen Dokumentat­ionsstelle stehen.

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