Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Polizeigewerkschaft: „Das war sicherlich keine Absicht“
Bereits im September vor vier Jahren musste das Innenministerium die Zahl der überwachten Telefone nach oben korrigieren
Erfurt. Die Thüringer Polizei hat in den vergangenen fünf Jahren deutlich mehr Telefone belauscht und beobachtet, als bisher gegenüber dem Parlament angegeben.
Das Innenministerium musste gestern (17. September 2012, Anmerkung der Redaktion) die Zahl der Fälle überwachter Telefonanschlüsse um insgesamt 27 nach oben korrigieren.
„Eine Überprüfung ergab, dass in der Polizeiabteilung nicht alle Überwachungsmaßnahmen erfasst wurden“, begründete ein Ministeriumssprecher gegenüber unserer Zeitung den Anstieg. Die Ursachen dafür würden derzeit untersucht. Eine Absicht oder gar ein Vertuschen wies der Behördensprecher zurück. Bereits im Sommer hatte das Ministerium seine Angaben für das Vorjahr korrigieren müssen.
Allein bei 15 der jetzt bekannt gewordenen Fälle wurde in den vergangenen fünf Jahren in Thüringen versucht, möglichen Hinweisen auf islamistischen Terrorismus nachzugehen.
Einige dieser Überwachungen dauerten fast ein Jahr und länger. Das Innenministerium hatte bisher nur einige wenige diesbezüglicher Maßnahmen eingeräumt.
Auf deutliche Kritik der Linke-fraktion im Landtag stieß gestern auch das Abhören eines Info-telefons am 1. Mai 2010. Der Anschluss war zum Koordinieren der Demonstrationen gegen einen Npd-aufmarsch in Erfurt bekannt gegeben worden. Es sei „besonders bedenklich“, dass dieses Telefon allein aufgrund von „Annahmen“abgehört wurde, kritisierte Martina Renner, stellvertretende Fraktionschefin bei der Linken.
Nach dem Abhörskandal in Dresden nach den Februarprotesten im Jahr 2011 sei es aber nicht verwunderlich, dass das Innenministerium diese Maßnahme geheimhalten wollte, fügte die Politikerin an.
Unproblematischer sieht die Vorgänge der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GDP) in Thüringen, Marko Grosa. Er könne sich schon vorstellen, dass die Bestimmungen zum Melden dieser Maßnahmen in Thüringen bei den einzelnen Polizeibehörden unterschiedlich ausgelegt wurden. „Ich finde es gut, dass dieser Fehler bemerkt und nun korrigiert wurde“, betonte er gestern. „Das war sicherlich keine Absicht.“
Einem „außerordentlichen Vertrauensbruch“sieht dagegen Dirk Bergner, innenpolitischer Sprecher der Fdp-fraktion in diesem Vorgang. Er zeigte sich entsetzt darüber, dass in Thüringen mit den falschen Zahlen die parlamentarische Kontrolle in einem so sensiblen Bereich wie der Telekommunikation unterlaufen worden ist. Das lasse leider auf einen „leichtfertigen Umgang“mit derartigen Daten schließen.
Aus Sicht von Dirk Adams (Grüne) zeige der Fall, wie leicht es inzwischen für die Polizei sei, eben auch unbemerkt, Telefone zu überwachen. Er sprach sich dafür aus, bei der Änderung des Polizeiaufgabengesetzes noch einmal genau zu prüfen, welche Grenzen gezogen werden müssen, um künftig die parlamentarische Kontrolle zu sichern.
Genau wie die Linksfraktion sehen auch die Grünen ein Problem darin, dass nicht jeder, der von einer Überwachungsmaßnahme betroffen ist, auch darüber informiert werden muss.
Cdu-innenpolitiker Wolfgang Fiedler forderte, vom Innenministerium „die Sache schnell in den Griff zu bekommen“. „Ich finde nicht besonders schön, was da passiert ist“, sagte der Politiker. Er sehe aber auch keinen besonderen Anlass, einzugreifen.
Nach Informationen unserer Zeitung waren die fehlerhaften Zahlen aufgefallen, als intern überprüft wurde, wie viele der Betroffenen von Abhör- oder Überwachungsmaßnahmen informiert wurden.
Im Thüringer Polizeiaufgabengesetz ist festgelegt, dass einmal im Jahr das Parlament über die Telefonüberwachung zu informieren ist. Das Gros dieser Maßnahmen sind Standortbestimmungen, beispielsweise wenn die Polizei vermisste oder suizidgefährdete Personen sucht.
Im Rahmen der Gefahrenabwehr dürfen aber auch Gesprächsinhalte belauscht werden. In diesen Fällen muss aber nachträglich die richterliche Genehmigung eingeholt werden.