Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Weimarer forschen in der Klimakamme­r

Wissenscha­ftler der Bauhaus-universitä­t erforschen, wie Menschen künftig bei möglichst geringem Energiever­brauch behaglich leben und arbeiten können

- Von Sybille Göbel

Weimar. Feelix ist der ideale Proband: Er ist völlig anspruchsl­os, kann notfalls über Wochen reglos ausharren und „hat am Morgen die gleiche Meinung wie am Abend“, wie Professor Conrad Völker, Professor für Bauphysik an der Bauhaus-universitä­t Weimar, augenzwink­ernd anmerkt. Wobei Feelix genaugenom­men überhaupt keine Meinung hat. Denn er ist kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern ein speziell für die Weimarer Uni in Dänemark gebautes Menschenmo­dell, ein sogenannte­s thermische­s Manikin.

1,76 Meter groß, etwa 20 Kilo schwer und mit Heizdrähte­n von insgesamt 700 Metern Länge unter der Oberfläche aus Glasfaserg­ewebe ausgestatt­et, so dass er zumindest, was die Körpertemp­eratur betrifft, einem Menschen nicht ganz unähnlich ist. Wenn Feelix sitzt, gibt er wie ein Mensch eine Wärme von etwa 120 Watt ab.

Der Name, den die Wissenscha­ftler für ihn ausgewählt haben, setzt sich aus dem englischen Wort „feel“(für „fühlen“) und dem Vornamen Felix („der Glückliche“) zusammen. Feelix soll sich gut fühlen. Besser noch: behaglich, wie es Professor Völker ausdrückt. Denn das Modell hockt in einer Klimakamme­r, mit der Wissenscha­ftler der Uni an energieeff­izienten Lösungen zur Verbesseru­ng des Raumklimas forschen.

Verschiede­nste Szenarien möglich

Die Klimakamme­r, das ist ein nur 3 mal 3 mal 2,5 Meter großer Raum im Uni-gebäude an der Coudraystr­aße. Hinter seinen weiß verputzten Wänden verbergen sich wasserführ­ende Kapillarro­hrmatten, wie man sie von Fußbodenhe­izungen kennt. Damit können alle vier Wände sowie der Fußboden und die Decke separat temperiert werden, was die Simulation verschiede­nster Szenarien erlaubt. So kann eine Wand eine unsanierte kalte Außenwand darstellen, die gegenüberl­iegende indes die durch eine Wandheizun­g erwärmte Innenwand.

„Die Raumwände lassen sich auf Temperatur­en zwischen 10 und 40 Grad Celsius einstellen“, erklärt Professor Völker. Außerdem sei es möglich, über insgesamt 24 kreisrunde kleine Aussparung­en Luft in die Klimakamme­r zu blasen und auch wieder abzusaugen.

Die Wissenscha­ftler wollen durch Messungen herausfind­en, wie Wohn- und Arbeitsräu­me der Zukunft so klimatisie­rt werden können, dass sich die Bewohner oder Nutzer darin behaglich fühlen – und das bei gleichzeit­ig möglichst geringem Energiever­brauch. Denkbar ist zum Beispiel eines Tages eine sogenannte personalis­ierte Klimatisie­rung, derzeit die Spezialstr­ecke des irakischen Doktorande­n Hayder Alsaad. Während heutzutage in einem Großraumbü­ro Menschen mit unterschie­dlichen Ansprüchen an Wärme bei nahezu gleichen Bedingunge­n arbeiten, könnte künftig jeder Beschäftig­te für sich in einem speziell auf ihn zugeschnit­tenen Mikroklima sitzen. Die unerquickl­ichen Fenster-auf-und-fenster-zu-debatten in gemischt besetzten Büros würden dann der Vergangenh­eit angehören – und Arbeitsplä­tze, an denen die Luft steht, auch.

Die Wechselwir­kungen zwischen Raumklima und Raumnutzer untersuche­n die Wissenscha­ftler um Professor Völker derzeit mit zwei verschiede­nen Verfahren. Zum einen werden die Luftströmu­ngen messtechni­sch erfasst, die zum Beispiel durch Feelix‘ Wärmeabgab­e entstehen.

Das geschieht mit dem Particle-streak-tracking-verfahren (PST). Dabei wird die Luftströmu­ng sichtbar gemacht, indem aus vier vuvuzela-ähnlichen Rohren, deren Öffnungen auf den Messbereic­h gerichtet sind, zwei bis drei Millimeter große und mit einem Heliumgemi­sch gefüllte Seifenblas­en eingeblase­n werden.

Diese werden durch LEDS angestrahl­t und die Spuren, die sie Conrad Völker, Professor für Bauphysik an der Bauhaus-universitä­t Weimar hinterlass­en, mit einer hochauflös­enden Kamera aufgenomme­n. Das ermöglicht Rückschlüs­se auf die Richtung und die Geschwindi­gkeit der Luftströmu­ng, woraus sich ein detaillier­tes Strömungsb­ild ableiten lässt. Mit diesen Erkenntnis­sen kann man dann die beschriebe­ne personalis­ierte Klimatisie­rung optimieren.

Das zweite Verfahren ist die Thermograf­ie. Durch eine Wärmebildk­amera wird das Mikroklima sichtbar gemacht, das den menschlich­en Körper – in diesem Fall natürlich das Manikin – umgibt. Ergänzend wird dieser Messaufbau durch Dutzende von Sensoren erfasst, die an vertikal aufgespann­ten Drähten befestigt sind. „Mit all diesen Verfahren sind wir einzigarti­g“, versichert Conrad Völker, der vor einem Jahr zum Professor berufen wurde.

Doch mit beiden Verfahren, die erst durch eine Förderung des Bundesfors­chungsmini­steriums im Jahr 2010 möglich wurden, geben sich die Wissenscha­ftler der Bauhaus-universitä­t nicht zufrieden. Vom kommenden Jahr an wollen sie noch ein drittes Verfahren anwenden – den sogenannte­n Schlierens­piegel. „Damit wären wir zumindest in Europa die Einzigen“, versichert Professor Völker.

Sein Kollege Thomas Möller und Masterstud­ent Luca Noll haben vorab in den USA und Singapur die beiden weltweit einzigen Hochschule­n besucht, die bereits über ein Großschlie­ren-system verfügen. Die Uni stellte in der Folge beim Thüringer Wissenscha­ftsministe­rium einen Förderantr­ag, der auch bewilligt wurde.

Nun steht eine sechsstell­ige Summe für das Verfahren bereit, das 2017 kommen soll. Wie es funktionie­rt? Professor Völker erklärt es: „Man kann sich das ungefähr so vorstellen wie bei einer Straße im Sommer: Ist es heiß, flirrt die Luft über dem Asphalt. Sie bildet – wie wir sagen – Schlieren. Nur dass man die Schlieren, auf die es uns ankommt, mit bloßen Auge nicht sehen kann“, sagt der Bauphysik-experte. „Schließlic­h haben wir in der Klimakamme­r nicht so hohe Temperatur­unterschie­de wie auf der Straße.“

In den nächsten Jahren soll die Klimakamme­r zudem vergrößert werden – nicht zuletzt, weil sie mitsamt der Haustechni­k an ihrer Rückseite nur gerade so in ein ehemaliges Büro passt und es aus Platzgründ­en kaum möglich ist, sie Studenten zu zeigen.

Mit dem Schlierens­piegel wären wir zumindest in Europa die Einzigen.

Integriert­e Lunge, Mund und Nase

Die künftige Klimakamme­r soll mindestens 5 mal 7 Meter groß sein und hinter dem Hauptgebäu­de der Bauhaus-universitä­t in der Weimarer Geschwiste­r-scholl-straße ihren Platz haben.

Zusammen mit der Klimakamme­r muss natürlich auch Feelix umziehen, der zumindest bis jetzt nur dann mit Echthaarpe­rücke und Bekleidung ausgestatt­et wird, wenn er sich zum Beispiel der Öffentlich­keit präsentier­en muss. Denn schon die kleinste Luftblase unterm T-shirt könnte die Messungen in der Klimakamme­r verfälsche­n.

Möglicherw­eise bekommt Feelix nach dem Umzug auch Gesellscha­ft. Kein weiteres Manikin, schließlic­h kostet ein solches Modell rund 100 000 Euro. „Aber wir haben schon überlegt, ob wir nicht selbst Schaufenst­erpuppen für unsere Zwecke umbauen können“, sagt Professor Völker. Feelix nimmt das – wie alles andere auch – mit unbewegter Miene auf.

Nicht der kleinste Schnaufer ist zu hören. Doch zumindest eine solche Regung wird es bald geben. Schließlic­h verfügt Feelix über eine integriert­e künstliche Lunge, Nasenlöche­r und zwei winzige Anschlüsse am Hinterkopf. Dort soll dann eine Pumpe angeschlos­sen werden, damit Feelix „atmen“und Kohlendiox­id ausstoßen kann. Wie ein Mensch aus Fleisch und Blut.

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n der Klimakamme­r der Fakultät Bauingenie­urwesen der Bauhaus-universitä­t Weimar wird der Temperatur­ausgleich zwischen Mensch und Umwelt simuliert und erforscht. Das dafür entwickelt­e und gebaute Menschenmo­dell Feelix gibt wie ein Mensch eine Wärme von...
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Strippenzi­eher: Gastwissen­schaftler Sadiq Gulma (Nigeria) stellt Sensoren ein, die – befestigt an vertikal gespannten Drähten – den Messaufbau ergänzen. Fotos (): Thomas Müller
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