Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Bärenalarm im Niemandsland
Siegreiche Thüringer Radsportler gingen beim Race across America in jeder Hinsicht an ihre Grenzen
Altenburg. „Das war schon eine Riesennummer.“Treffender als mit den Worten von Olaf Ludwig, Olympiasieger 1988 im Straßenrennen in Seoul und dreifacher Etappensieger der Tour de France, kann man den Erfolg des in Altenburg ansässigen Xxl-co-creative-teams beim legendären Race across America wohl nicht beschreiben.
Nicole Bauer (38) aus Altenburg, Robby Wilke (53) aus Erfurt sowie die Geraer Sven Ole Müller (47) und Lars Schlutter (43) haben die mehr als 4900 Kilometer lange Strecke von der West- zur Ostküste der USA auf dem Rennrad in sechs Tagen, 17 Stunden und 56 Minuten zurückgelegt und damit als Mixedteam in der Kategorie Altersdurchschnitt unter 50 Jahre einen überragenden Sieg errungen.
„Am meisten hat mich begeistert, mit welcher Professionalität sie sich vorbereitet haben, was Training, Ernährung und die organisatorischen Dinge anbelangt, und wie sie sich als Team – und damit meine ich auch die Betreuer im Hintergrund – gefunden haben“, sagt der 56-Jährige voller Anerkennung. Solch endlos lange Strapazen seien jedoch nicht sein Ding. Er selber sei in seiner aktiven Zeit kaum mehr als 300 Kilometer am Stück gefahren, so Ludwig.
„Wir haben in der Vorbereitung alles richtig gemacht“, freut sich Nicole Bauer gemeinsam mit den anderen. 40-Stundentest auf der Rolle – selbst in der Sauna. Eine 3-Tage-fahrt, bei der etwa 2000 Kilometer zurückgelegt wurden. Und dennoch: Die schier unerträgliche Hitze von fast 50 Grad in der kalifornischen Mojave-wüste beim Fahren über kochend heißem Asphalt sorgte bei den Fahrern für entzündete Atemwege. „Bei jedem Schluck Wasser hattest du das Gefühl einer beginnenden Angina“, erinnert sich Sven Ole, bei dem sich zu alledem irgendwann auch noch der Lenker seiner Zeitfahrmaschine verabschiedet hatte, was zum Glück glimpflich ausging.
Die vier Hobby-radrennfahrer hatten sich für ihr Unterfangen in zwei Schichten aufgeteilt. Jeweils zwei von ihnen wechselten sich im Abstand von etwa einer Stunde mit dem Fahren ab. Sechs Stunden lang. Dann waren die anderen beiden dran. „Wir haben dabei versucht, unsere Stärken auszuspielen“, sagt Robby. „Lars, mein direkter Partner, ist zum Beispiel der bessere Bergfahrer von uns beiden. Und ich kann bei den Abfahrten – nicht selten mit an die 100 km/ h – mehr gutmachen.“
Die endlos langen Straßen in Kansas, die geradewegs ins Nichts zu führen scheinen, die unbeschreibliche Hitze in der Wüste – in einer Stunde vier Liter Wasser zu verbrauchen, war keineswegs die Ausnahme –, Regen und Kälte auf den bis zu 3300 Meter hohen Pässen, das alles führt zu einer wahnsinnigen mentalen wie körperlichen Erschöpfung.
„Ständig waren wir im gemieteten Wohnmobil am Suchen“, sagen Nicole und Sven Ole. „Trikot, Rennhose, Socken, Brustgurt. Du kannst dir einfach nichts mehr merken“, schildert Nicole den Zustand der völligen Erschöpfung. „Ich habe zum Beispiel mal die viel zu große Radhose von Ole angehabt und es nicht gemerkt, obwohl Müller hinten drauf steht. Du bist einfach nur todmüde, und da ist dann auf dem Rad die Gefahr des Sekundenschlafs riesig. Vor allem bergab, wenn der Körper sich etwas Ruhe gönnen kann, man aber trotzdem konzentriert bleiben muss.“
Doch es gab auch andere Gefahren: Bären- und Schlangenalarm zum Beispiel. „Irgendwann stand auf einer Abfahrt mitten auf der Straße eine Elchkuh vor mir. 300 Meter weiter ein riesiger Bulle“, berichtet Robby. „Da hast du zu tun, noch rechtzeitig abzubremsen. Die Ausläufer eines Tornados hatten Bäume umstürzen lassen, sodass wir eine lange Umleitung in Kauf nehmen mussten.“
Dennoch habe jeder Bundesstaat sein eigenes Flair, ergänzt Lars. Unvergessen bleibe der Sonnenaufgang im Monument Valley in Utah mit seinen feuerroten Felsformationen – und die Überquerung des Mississippi. In Colorado wiederum sehen manche Städte aus wie in einem Western – eingebettet in die Rocky Mountains.
Robby berichtet, wie sich das Team wegen gerade mal zwei Minuten, die er zu spät an einem Bahnübergang ankam, 26 Minuten Wartezeit einfing, weil ein nicht enden wollender Güterzug so lange brauchte, bis die Straße wieder passierbar war. Zudem kassierten die Thüringer noch eine Zeitstrafe von einer Stunde – insbesondere weil ein Begleitfahrzeug nicht mit dem um die betreffende Uhrzeit vorgeschriebenen Scheinwerferlicht unterwegs war.
Angesichts dessen war der Rückstand von vier Stunden und 36 Minuten, mit dem die Zweitplatzierten – eine Mannschaft aus den USA – in Annapolis (Maryland) über den Zielstrich rollten, mehr als deutlich.
Auf die Frage, ob die vier beim Race across America noch mal antreten wollen, kommt von ihnen übereinstimmend ein eindeutiges Nein. Dieses Erlebnis, egal welche Platzierung am Ende herauskommen würde, sei ohnehin nicht zu toppen.
Überall lauerten Gefahren auf die Mannschaft