Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Auf Thüringer Friedhöfen werden alte Statuen enthauptet
Die Köpfe sind verschwunden. Bundesweit neue Form von Kriminalität – auch im Schlosspark Molsdorf
Jena. Die Thüringer Polizei steht vor einem Rätsel. Wer schlägt wertvollen historischen Steinstatuen auf Friedhöfen und im Schlosspark Molsdorf bei Erfurt die Köpfe ab – und stiehlt sie?
„Wir wissen es nicht“, sagt Polizeisprecherin Steffi Kopp aus Jena, dem Inspektionsbereich, wo sich die Fälle häufen, zuletzt in dieser Woche in Apolda. Im Juli begann die Serie auf dem Johannisfriedhof in Jena.
„Wir fragen uns auch: Was ist das Motiv?“sagt Polizistin Kopp. Keine Ermittlungsbehörde in Deutschland hat bisher Erfahrung mit dieser Form der Kriminalität; denn solche Fälle von Kopf-klau sind einmalig.
„So etwas ist uns nicht bekannt“, lässt Professor Hartmut Dorgerloh aus Potsdam mitteilen, Vorstand des bundesweit agierenden Vereins Schlösser und Gärten.
Gleiches gilt für den Bereich der Friedhöfe. „Ich höre so etwas zum ersten Mal“, sagt der Bundesvorsitzende der Friedhofsverwalter Deutschlands, Jan Gawryluk, der Thüringer Allgemeinen.
In den zwölf Jahren, in denen er den Friedhof Hamburg-ohlsdorf, den größten Parkfriedhof der Welt leitete, gab es zwar Vandalen. Doch die schlugen keinen Steinstatuen die Köpfe ab, allerdings reihenweise Hände, zertrümmerten sie und ließen sie am Tatort liegen.
Einer ist besonders verletzt durch die Taten auf den Thüringer Friedhöfen: Michael Lungwitz aus Weimar, studierter klassischer Bildhauer. „Für mich ist das Abbild meiner Mutter zerstört worden“, sagte er gestern.
Auf dem Historischen Friedhof in Weimar stand seit 1946 die lebensgroße Figur mit dem Antlitz seiner Mutter Johanna, vom Vater im nahen Ehringsdorfer Steinbruch aus Muschelkalk geschlagen für das Grab von dessen Vater, der so tragisch starb in der Klinik in Jena, 1943.
„Er lag dort wegen einer Magengeschwür-operation. Als er die Bomber anfliegen sah, richtete er sich im Krankenbett auf; daran ist er verblutet“, sagt Michael Lungwitz. Jetzt will er versuchen, den fehlenden Kopf nach Fotos nachzubilden. „Es wird mir nicht leichtfallen, aber ich beherrsche das.“
Es waren wohl Profis am Werk, in Weimar so wie in Jena, Apolda und Erfurt. Man müsse wissen, wie man einer Statue den Kopf abschlägt, ohne ihn zu zerstören, sagt Lungwitz. Und Spuren von Werkzeug fanden sich an keiner Stelle am Stein.
Zu Geld machen lassen sich die Steinköpfe kaum. „Ich habe gehört, dass es einen Schwarzmarkt geben könnte“, sagt Friedrich Bürglen, seit 2005 Kirchmeister des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Jena. Er schränkt aber gleich ein: Wahrscheinlicher sei wohl, dass sie irgendwo ins Regal wandern.
In Molsdorf hat man nur einen Funken Hoffnung, dass sich der Kopf wiederfindet, sagt Susanne Rott von der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten. Dort fehlt seit einer Woche der Kopf einer Brunnenfigur aus dem 18. Jahrhundert. „Dabei ist der Schlosspark eigentlich nachts abgeschlossen.“
Täter haben „das Abbild meiner Mutter zerstört“