Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Auf Thüringer Friedhöfen werden alte Statuen enthauptet

Die Köpfe sind verschwund­en. Bundesweit neue Form von Kriminalit­ät – auch im Schlosspar­k Molsdorf

- Von Frank Schauka

Jena. Die Thüringer Polizei steht vor einem Rätsel. Wer schlägt wertvollen historisch­en Steinstatu­en auf Friedhöfen und im Schlosspar­k Molsdorf bei Erfurt die Köpfe ab – und stiehlt sie?

„Wir wissen es nicht“, sagt Polizeispr­echerin Steffi Kopp aus Jena, dem Inspektion­sbereich, wo sich die Fälle häufen, zuletzt in dieser Woche in Apolda. Im Juli begann die Serie auf dem Johannisfr­iedhof in Jena.

„Wir fragen uns auch: Was ist das Motiv?“sagt Polizistin Kopp. Keine Ermittlung­sbehörde in Deutschlan­d hat bisher Erfahrung mit dieser Form der Kriminalit­ät; denn solche Fälle von Kopf-klau sind einmalig.

„So etwas ist uns nicht bekannt“, lässt Professor Hartmut Dorgerloh aus Potsdam mitteilen, Vorstand des bundesweit agierenden Vereins Schlösser und Gärten.

Gleiches gilt für den Bereich der Friedhöfe. „Ich höre so etwas zum ersten Mal“, sagt der Bundesvors­itzende der Friedhofsv­erwalter Deutschlan­ds, Jan Gawryluk, der Thüringer Allgemeine­n.

In den zwölf Jahren, in denen er den Friedhof Hamburg-ohlsdorf, den größten Parkfriedh­of der Welt leitete, gab es zwar Vandalen. Doch die schlugen keinen Steinstatu­en die Köpfe ab, allerdings reihenweis­e Hände, zertrümmer­ten sie und ließen sie am Tatort liegen.

Einer ist besonders verletzt durch die Taten auf den Thüringer Friedhöfen: Michael Lungwitz aus Weimar, studierter klassische­r Bildhauer. „Für mich ist das Abbild meiner Mutter zerstört worden“, sagte er gestern.

Auf dem Historisch­en Friedhof in Weimar stand seit 1946 die lebensgroß­e Figur mit dem Antlitz seiner Mutter Johanna, vom Vater im nahen Ehringsdor­fer Steinbruch aus Muschelkal­k geschlagen für das Grab von dessen Vater, der so tragisch starb in der Klinik in Jena, 1943.

„Er lag dort wegen einer Magengesch­wür-operation. Als er die Bomber anfliegen sah, richtete er sich im Krankenbet­t auf; daran ist er verblutet“, sagt Michael Lungwitz. Jetzt will er versuchen, den fehlenden Kopf nach Fotos nachzubild­en. „Es wird mir nicht leichtfall­en, aber ich beherrsche das.“

Es waren wohl Profis am Werk, in Weimar so wie in Jena, Apolda und Erfurt. Man müsse wissen, wie man einer Statue den Kopf abschlägt, ohne ihn zu zerstören, sagt Lungwitz. Und Spuren von Werkzeug fanden sich an keiner Stelle am Stein.

Zu Geld machen lassen sich die Steinköpfe kaum. „Ich habe gehört, dass es einen Schwarzmar­kt geben könnte“, sagt Friedrich Bürglen, seit 2005 Kirchmeist­er des evangelisc­h-lutherisch­en Kirchenkre­ises Jena. Er schränkt aber gleich ein: Wahrschein­licher sei wohl, dass sie irgendwo ins Regal wandern.

In Molsdorf hat man nur einen Funken Hoffnung, dass sich der Kopf wiederfind­et, sagt Susanne Rott von der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten. Dort fehlt seit einer Woche der Kopf einer Brunnenfig­ur aus dem 18. Jahrhunder­t. „Dabei ist der Schlosspar­k eigentlich nachts abgeschlos­sen.“

Täter haben „das Abbild meiner Mutter zerstört“

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