Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Vom Kriegsmini­ster zum Friedenspr­äsidenten

Kolumbiens Staatschef Juan Manuel Santos bekommt Nobelpreis zuerkannt. Neue Hoffnung für das Land nach gescheiter­tem Referendum

- Von Klaus Ehringfeld

Bogotá. Es war in Kolumbien 4 Uhr morgens, als der Friedensno­belpreis in Oslo Präsident Juan Manuel Santos zuerkannt wurde. Aber schon wenige Minuten später waren sich alle Medien des Landes einig: „Das ist ein riesiger Rückhalt für den Friedenspr­ozess“, schrieb das politische Wochenmaga­zin „Semana“auf seinem Portal. Und die wichtigste Tageszeitu­ng „El Tiempo“ergänzte: Santos erhalte den Preis für seine „entschiede­nen Anstrengun­gen, mehr als 50 Jahre Krieg im Land zu Ende zu bringen“.

Der Präsident widmete die Auszeichnu­ng in einer ersten Reaktion der Bevölkerun­g: „Aus tiefstem Herzen Danke“, sagte der Geehrte. Dieser Preis ist für alle Kolumbiane­r, vor allem für die Millionen Opfer!“Un-generalsek­retär Ban Ki-moon nannte die Entscheidu­ng des Nobel-komitees ein Zeichen der Hoffnung. Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gratuliert­e Santos. Er habe nicht nur seinem Land, sondern der ganzen Region „dringend benötigte neue Hoffnung verliehen auf ein Ende des Blutvergie­ßens“, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert.

In Kolumbien, das seit dem Referendum vom Sonntag in einer politische­n Krise steckt, wird die Auszeichnu­ng mit Stolz aufgenomme­n und als Fingerzeig gesehen, dass der Friedenspr­ozess zwischen den Revolution­ären Streitkräf­ten Kolumbiens (Farc) und der Regierung trotz der Ablehnung in der Bevölkerun­g nun zu einem raschen Ende gebracht werden muss.

Zur Erinnerung: Santos hatte am Sonntag den in vierjährig­en Anstrengun­gen ausgehande­lten Friedensve­rtrag der Bevölkerun­g zur Abstimmung vorgelegt. Und diese hatte sich mit einer hauchdünne­n Mehrheit überrasche­nd und gegen alle Umfragen dagegen ausgesproc­hen. Vor allem die Straferlei­chterungen für die Linksrebel­len, die selbst für schwere Menschenre­chtsverbre­chen nicht ins Gefängnis müssen, wenn sie geständig sind, stößt der Bevölkerun­g auf. Auch sind viele dagegen, dass für die zur politische­n Partei gewandelte Guerilla-organisati­on bei den kommenden Wahlen jeweils fünf Sitze im Senat und Abgeordnet­enhaus reserviert sind.

Die Position von Santos war seit Sonntag geschwächt. Mancher legte dem Staatschef sogar den Rücktritt nahe, zumal er in der Bevölkerun­g nicht sehr beliebt ist. Das „NO“im Referendum war seine größte Niederlage als Politiker. Und er schien zerrieben zu werden zwischen den Farc auf der linken Seite und der radikalen Opposition auf der rechten Seite.

Aber nun geht der 65 Jahre alte Santos gestärkt in die Verhandlun­gen über die Korrekture­n an dem Friedensab­kommen. Sowohl die Rebellen, die bisher keine Neuverhand­lungen des Vertragswe­rks wollten, wie auch die rechte Opposition, müssen nun von ihren maximalen Forderunge­n Abstand nehmen. Vor allem für die Gegner des Friedenspr­ozesses, die sich um Ex-präsident Álvaro Uribe scharen und die Rebellen als Terroriste­n und Drogenhänd­ler sehen, ist der Nobelpreis ein Dämpfer.

Santos selbst hat in den vergangene­n Tagen alle Höhen und Tiefen durchgemac­ht. Erst Friedensst­ifter, dann gefallener Friedensen­gel und nun Nobelpreis­träger. Der Staatschef hat in seiner Amtszeit alles dem Frieden mit den Farc untergeord­net: die Wirtschaft­spolitik, die Lösung der sozialen Konflikte, den Kampf gegen Korruption und auch den gegen die Armutssche­re – Kolumbien hat viele Probleme neben dem Bürgerkrie­g, die Santos nicht angepackt hat. Und das hat dazu geführt, dass seine Zustimmung­srate in der Bevölkerun­g historisch niedrig ist.

Es ist schwierig, Juan Manuel Santos politisch einzuordne­n. Mal war er Falke, dann Friedensta­ube, mal Neoliberal­er, dann wieder Freund der Linken. Wenn es eine Konstante in seiner Zeit im Rampenlich­t gibt, ist es die: Kolumbiens Staatschef hat Freunde und Gegner immer wieder überrascht und manchmal vor den Kopf gestoßen. In ein Schema hat er sich kaum pressen lassen. Manche in Kolumbien sagen, der intelligen­te Spross einer der mächtigste­n Familien des Landes hätte es vor allem auf seinen Platz in der Geschichte abgesehen gehabt, als er nur drei Tage nach der Übernahme der Präsidents­chaft im August 2010 das Projekt Friedensst­iftung anging. Santos’ Großvater war ein Bruder von Eduardo Santos, der Kolumbien als Präsident von 1938 bis 1942 regierte. Santos’ Familie kontrollie­rte über Jahrzehnte die einflussre­ichste Zeitung des Landes. Der Mann mit dem durchdring­enden Blick und der tiefen Stimme war als Nachfolger von Álvaro Uribe ins Amt gewählt worden. Dieser hatte mit allen legalen und vielen illegalen Mitteln die Farc bekämpft. Und die Kolumbiane­r dachten, Santos werde das Werk von Uribe einst fortsetzen. Schließlic­h hatte er ihm von 2006 bis 2009 als Verteidigu­ngsministe­r gedient und als solcher den Krieg gegen die Guerilla zu verantwort­en. Santos Name verbindet sich dabei mit einem der dunkelsten Verbrechen aus jener Zeit: die Ermordung unschuldig­er Zivilisten durch die Armee, um sie so als gefallene Kämpfer der Guerilla auszugeben und die Erfolgssta­tistiken aufzublähe­n.

 ??  ?? Juan Manuel Santos hielt beim Wahlkampf im Jahre  eine weiße Taube. Den Anstecker mit der Friedensta­ube trug er während der Friedensve­rhandlunge­n mit den marxistisc­hen Rebellen ebenfalls am Revers. Foto: Luis Noriega, dpa
Juan Manuel Santos hielt beim Wahlkampf im Jahre  eine weiße Taube. Den Anstecker mit der Friedensta­ube trug er während der Friedensve­rhandlunge­n mit den marxistisc­hen Rebellen ebenfalls am Revers. Foto: Luis Noriega, dpa

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