Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Aussteiger suchen in Portugal ihr Glück
Zwei Thüringer wanderten an die Algarve aus — kündigten ihre Jobs und wollen von Januar an mit ihrem „Rumtreibermobil“unterwegs sein
Eisenach. Manuela Herold und Steav Reek haben genug – genug von Stress und Konventionen und einengenden Wertvorstellungen. Genug auch von eingefahrenen Gleisen, materiellem Besitz und dem Streben nach Anerkennung.
Die beiden Thüringer, die erst seit knapp zwei Jahren ein Paar sind, steigen aus dem Alltag mit Job und Wohnung aus – und in ein Wohnmobil um, um unabhängig und frei und mit einer Leichtigkeit, wie sie die meisten von uns zuletzt wohl als Kind erlebt haben, ein neues Leben zu beginnen.
Die beiden Thüringer haben den Mut, das zu tun, wovon viele nur träumen: Sie ziehen aus, um ihr Glück zu suchen, ohne ein festes Dach über dem Kopf zu haben und jeden Monat ein Gehalt auf dem Konto.
Die erste „Etappe“auf dem Weg zum Aussteiger-dasein hat das Paar schon gemeistert: Seit Januar lebt es in Portugal, im mehr als 3000 Kilometer von Thüringen entfernten Touristenort Albufeira. Dass die beiden Thüringer am Atlantik gelandet sind, war eher Zufall.
Manuela Herold, die zuvor in Eisenach lebte, und Steav Reek aus Emleben bei Gotha sind zwei Fernwehgeplagte. Schon lange wollten sie raus aus dem Alltagstrott, raus auch aus Deutschland. „Wir hatten es satt“, bringt es Manuela Herold auf den Punkt.
Die 43-Jährige hat beruflich schon Verschiedenes gemacht: Sie betreute Senioren in einem Altenheim, war Fotografin, Mobilfunkund Möbelverkäuferin und zuletzt bei Storck in Ohrdruf in der Logistik tätig. Ihr Partner Steav (49) war 20 Jahre lang selbstständiger Küchenmonteur. Kennengelernt haben sich beide im Herbst 2014 in einem Eisenacher Möbelhaus, in dem Manuela als Verkäuferin arbeitete und Steav nach einem Küchenschrank Ausschau hielt. Die beiden verstanden sich auf Anhieb so gut, dass sie sich anfreundeten – und bald aus ihrer Freundschaft Liebe wurde. Beide trennten sich von ihren damaligen Partnern und zogen nach ein paar Monaten zusammen.
Doch Manuela und Steav waren die wenigen gemeinsamen Stunden, die ihnen die Arbeit ließ, zu wenig. Im Internet stöberten sie schließlich nach einem Job-angebot als Hausmeister-ehepaar, um zusammen arbeiten zu können – und schon nach kurzer Zeit wurden sie fündig: Ein Privathaushalt an der Algarve stellte das Paar ein. „Wir wussten nicht wirklich, was uns erwartet“, sagt Manuela. „Aber diese einmalige Gelegenheit wollten wir uns nicht entgehen lassen.“
Und so regelten die beiden Thüringer binnen zehn Wochen alles, was zu regeln war: Manuela kündigte Job und Wohnung, trennte sich von ihrem Auto, sämtlichen Möbeln und nahezu allem Besitz, der sich im Laufe der Jahre so angesammelt hatte, ihr Partner löste seine kleine Firma auf. Die letzte Woche vor ihrer Ausreise verbrachten beide in einer Ferienwohnung. Während es in Thüringen heftig schneite, kalt und ungemütlich war, meldeten beide ihren Wohnsitz in Deutschland ab, beluden das Auto mit den wenigen Habseligkeiten, die sie behalten hatten und an denen ihr Herz hing, und machten sich auf die weite Reise gen Süden. Dass die Fahrt drei Tage dauerte und sie zwei kalte Nächte im Auto verbringen mussten, konnte ihre Vorfreude nicht trüben.
Auch der neue Job schien zunächst zu halten, was die Ausschreibung versprochen hatte. Manuela wurde Haushälterin in dem Zwei-personen-haushalt, Steav Hausverwalter und Gärtner für das Anwesen. Auch die äußeren Bedingungen waren ideal: das Meer nur einen Katzensprung entfernt und selbst der Winter mit Temperaturen von mehr als 10 Grad sehr mild. „Unsere Arbeitgeber waren zudem bis zum Frühjahr nur alle paar Wochen da“, sagt Manuela. „Seither aber sind sie permanent vor Ort – und wir rennen in einem neuen Hamsterrad.“
Die beiden Thüringer haben ein Problem damit, dass sie in rauem Ton vorgebrachte Anweisungen strikt zu befolgen haben, sechs Tage die Woche auf Trab gehalten werden und sich einfach permanent verbiegen müssen, nur um nicht anzuecken. Schließlich leben sie mit ihren Arbeitgebern auch noch unter einem Dach, dürfen sie ein möbliertes Appartement bewohnen, sodass sie schon deshalb jeder Konfrontation aus dem Wege gehen. Das ist es nicht, was sich die beiden gewünscht und vorgestellt haben. Das Leben sei von A bis Z durchgeplant, klagt Manuela, abends fallen beide nur noch todmüde ins Bett, von Spontaneität und Lockerheit keine Spur. „Uns wurde klar, dass hier das Glück nicht wohnt. Wir wollten wieder wir sein“, sagt sie. Und so schrieben beide ihre Kündigung zum Anfang kommenden Jahres. „Seitdem fühlen wir uns besser.“Zumal parallel mit der Unzufriedenheit der Wunsch wuchs, anders zu leben. Ohne eigene Wohnung, die sie in Portugal ohnehin nicht hatten, ohne die Mühen des Von-vorn-beginnens. Stattdessen entstand die Idee, mit einem Wohnmobil zu reisen, das Unterwegssein zum Lebensziel zu machen. Einfach dort zu bleiben, wo es schön ist, und ansonsten mit dem kleinen Hausstand auf Rädern weiterzuziehen.
Inzwischen haben die beiden Thüringer nicht nur etliche Aussteiger kennengelernt, die ein solches Leben leben und sie ermutigt und inspiriert haben, sondern online auch ein Wohnmobil erworben. Mit Solaranlage für die autarke Stromversorgung, Dusche und Markise und – so winzig das Fahrzeug ist – „genügend Platz zum Wohlfühlen“, wie Manuela versichert. In ein paar Wochen wollen die beiden Thüringer nach Deutschland reisen, um ihr „Rumtreibermobil“, das sie bislang nur von Fotos kennen, abzuholen.
Oft malen sich Manuela und Steav aus, wie es sein wird, wenn sie ihren letzten Arbeitstag hinter sich haben. Wie sie dann in einem ihnen gemäßen Tempo die Westküste erkunden, die Hauptstadt Lissabon und das Kap Saint Vincente, wo es die letzte Bratwurst vor Amerika gibt. Noch wissen beide nicht, ob sie sich einfach treiben lassen oder einer bestimmten Route folgen. Aber sie wissen genau, was sie wollen: ein autonomes, selbstbestimmtes Leben, in dem sie achtsam mit sich selbst und ihrem Partner umgehen und sich auf jeden neuen Tag freuen.
„Was haben wir denn zu verlieren“, fragt Manuela, um ihre Frage gleich selbst zu beantworten: „Nichts. Selbst wenn wir eine Bruchlandung erleben, das Geld schneller ausgeht als erwartet oder sonst etwas passiert, so kann uns doch niemand dieses Erlebnis nehmen.“Das sagt sie auch Freunden in Deutschland, die sie um ihre Pläne und ihren Mut beneiden, selbst aber zurückschaudern vor dem Gedanken, so zu leben. Die beiden Thüringer finden, dass sie nur gewinnen können – selbst wenn es schiefgehen sollte.
Binnen zehn Wochen war alles geregelt
Ein selbstbestimmtes Leben führen