Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Zwölf Minuten Redefreihe­it in Londons Hyde Park

Der Erfurter Klaus-michael von Keussler reiste nach London, um den Briten an der legendären Redner-ecke Speakers Corner die Flüchtling­spolitik von Angela Merkel zu erklären

- Von Hanno Müller

Erfurt. Man muss es wenigstens versuchen, sagte sich der Erfurter Klaus-m. von Keussler. Die europäisch­e Zerrissenh­eit in der Flüchtling­sfrage hält der pensionier­te Ex-ministeriu­msmitarbei­ter für so nicht hinnehmbar. Vor allem den nationalis­tischen Kurs der einstigen Weltmacht Großbritan­nien findet er enttäusche­nd. Letzteres wollte er vor Ort zurecht rücken.

Wo aber könnte man den Brexit-briten die deutsche Flüchtling­spolitik besser erklären als an der legendären Speakers Corner (Sprecher-ecke) im Londoner Hyde-park. „Seit fast 150 Jahren darf dort jeder ohne Anmeldung zu einem beliebigen Thema zum vorbeigehe­nden Volk sprechen, sofern es nicht gegen die Königsfami­lie geht oder zu heftig beleidigen­d wird“, sagt von Keussler.

Die beste Zeit für eine solche Ansprache an das Gewissen der Inselbewoh­ner sei der Sonntag vormittag. Dann haben die Leute mehr Zeit und Muße zuzuhören, erfuhr der Erfurter vorab. „Als wir dort ankamen, waren wir aber nicht die Einzigen. Lautstark pries ein Moslem seine Religion und streckte immer wieder zu „Allahu Akbar“-rufen die Faust in die Luft.“

Im Gegensatz zu dem bärtigen Salafisten im langen schwarzen Gewand hatte von Keussler keine Leiter dabei – für den eher kleinen Erfurter ein Nachteil, wie sich herausstel­len sollte.

Er ging es dennoch an. Sein Thema – die Flüchtling­spolitik von Angela Merkel. Die deutsche Kanzlerin habe vielleicht nicht alles richtig gemacht, aber sich letztlich menschlich gegenüber den Flüchtling­en verhalten – was man vor allem von vielen Osteuropäe­rn nicht sagen könne, referierte der Erfurter vor anfangs immerhin einem guten Dutzend Zuhörern. Sein Publikum beließ es allerdings nicht beim Zuhören. „Mörkel“habe im Alleingang gehandelt und niemanden gefragt, halte es immer wieder zurück. Einer der Zuhörer demonstrie­rte seine Feindselig­keit gegen den deutschen Kraut, in dem er im Stechschri­tt vor von Keussler auf und ab marschiert­e und auf Deutsch mehrfach Schimpfwor­te wie „deutsches Arschloch“skandierte. Als Kuscheleck­e empfing Speakers‘ Corner den Erfurter jedenfalls nicht.

Von Keussler nahm es hin, an Speakers Corner gehört das dazu. „Die Leute kommen, um mitzureden, zu lästern, zu provoziere­n oder einfach nur ihren Spaß zu haben“, resümiert der Erfurter im Nachhinein. Auch er legte nach, erzählte erst von seinem Engagement für Syrer und dann von seiner eigenen Flucht als Kind 1944 aus dem brennenden Königsberg. Es sein ein Brite gewesen, auf dessen Konto die Zerstörung von Städten wie Königsberg oder Dresden ging, „jener Bomber-commander Arthur Harris, dem ihr in London ein Denkmal gesetzt habt und noch heute in Westminste­r Abbey ehrt“, stichelte er zurück.

Doch da hatte das Interesse am Deutschen schon nachgelass­en. Auch weil nun gegenüber ein lautstarke­r Jesus-prediger in auffällige­m Outfit und mit schauspiel­erischem Pathos die Aufmerksam­keit auf sich zog.

Nach etwa zwölf Minuten sei sein Erlebnis britischer Redefreihe­it vorbei gewesen. „Trotzdem, ich werde es wiedertun, dann allerdings ebenfalls mit Leiter und mit ein paar stärkeren Gesten“, verspricht er.

Auch ohne Leiter Größe bewiesen

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Klaus-michael von Keussler (rechts im roten Pullover) während seiner Rede zur deutschen Flüchtling­spolitik an Speakers Corner mit einem Passanten. Foto: Ute von Keussler

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