Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Goethes gesammelte Werke in siebzig Minuten
„Du kommst wie ein reines Glück ungebeten“im Dnt-studio ist ein inszenierter Lektüreabend zur Inspiration
Weimar. Goethe leuchtet. Die Dichterbüste als Lampe wird angeknipst auf der Kiste in der Mitte des Raumes. Und wir hören Sätze wie: „Er führt uns durch die ganze Welt.“Es war auch vom „Andenken des größten Wandrers“die Rede und davon, dass einer in Siebenmeilenstiefeln zwei Schritte tut, die eines anderen Tagreise bezeichneten.
Das alles muss hier, in diesem Kontext, Goethe gelten, der an einem Morgen bewältigte, was uns als Tagwerk zu groß scheint.
Es ist aber: von Goethe, über Shakespeare. Aufgeschrieben 1771, zweieinhalb Jahre vor dem „Werther“, vier Jahre vor der Ankunft in Weimar. Und so, wie drei Amerikaner „Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)“auf die Bühne brachten, so reisen vier Weimarer gleichsam durch Goethes gesammelte Werke, in 70 Minuten.
Die Bände stehen zu Beginn vollzählig auf dem Bücherbord, am Ende, wenn lauter Zitate zur Textfläche sich verbinden, liegen sie und diverse andere Ausgaben aufgeschlagen am Boden.
Was man las, sah, hörte – es kann leicht verwehen. Das Universum des Dichtens und Denkens, in das ein universal interessierter Mensch eintauchte, ist eben einfach zu groß. Doch erlebt man, folgt man nach, womöglich seine„existenz um eine Unendlichkeit erweitert“(wieder Goethe über Shakespeare).
Man kann das Inspiration nennen. Und darum ist es dem kurzen Abend zu tun, den Dntregisseur Jan Neumann und vier Schauspieler eine theatrale Spurensuche nennen. Ihr gaben sie den Titel „Du kommst wie ein reines Glück ungebeten“, was aus einer Äußerung Goethes bei Eckermann stammt, den Schlaf betreffend. Hier betrifft’s: Erwachen in der Lektüre.
So blättern also Anna Windmüller, Max Landgrebe, Sebastian Kowski und Bastian Heidenreich das Werk auf an vielen Stellen, ausgewählt, nicht wahllos. Diese tragen sie, schwarz gekleidet, mit hellen Schuhen, vor in der Textlandschaft, die Ausstatter Oliver Helf auf die Studiobühne des Nationaltheaters zimmerte. Sie endet an vier Seiten auf Bankreihen, auf denen das Publikum sitzt – die Schauspieler mitunter dazwischen.
Was und wie sie es vortragen, wirkt in der Betrachtung wie sich verändernde Muster beim Blick durchs Kaleidoskop. Ein solches geht reihum bei den Zuschauern, ebenso wie eine Mineraliensammlung oder Safranskis Goethe-biografie.
Da entsteht etwa eine gedankliche Nahrungskette, als es vom Verstäubungsakt abgestorbener Fliegen zu Gedichten erst über Frösche im Teich, dann über’n Storch auf dem Kirchturm geht. Aus Schriften zur Naturlehre, Geologie und Mineralogie hören wir von den Gebirgen aus Granit, „Uf’m Bergli“beginnt sodann das Schweizerlied, bevor über allen Gipfel Ruh’ ist. Letzteres singen sie zur Melodie „What a Wonderful World“, das erinnert an die Selbsterkenntnis von eben: „Der Mensch kennt nur sich selbst, insofern er die Welt kennt, die er nur in sich und sich nur in ihr gewahr wird.“
Iphigenie kommt vor und Werthers Tod, Willkommen und Abschied sowie das Heidenröslein. Und: Prometheus. Sebastian Kowski kitzelt den Balladenanfang aus dem Publikum heraus und spricht die Verse dann als wütende Anklage in den Bühnenhimmel hinauf.
Das ist und bleibt die einzige Figur des Abends – die kurz entsteht und vergeht. Im übrigen aber flanieren und wandeln die vier Schauspieler mit Freude und Lust und Witz und etwas Melancholie durch dieses Universum, in das sie uns spielend hineinzuziehen vermögen.
Lauter Blicke durch ein Kaleidoskop
!
Vorstellungen am . und .. sind ausverkauft. Karten gibt‘s für den ..