Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Thüringer Melancholi­e

- Von Henryk Goldberg

Unser Wandersleb­en. Ohne Christian Friedrich Hunold hätte man jenseits des 20-Kilometer-radius wohl keinerlei Kunde von dem Flecken vernommen, ausgenomme­n bei den intimen Freunden der Drei Gleichen. So wenigstens kommt es vor bei den intimen Freunden der Literaturg­eschichte und bei denen der intimen Geschichte­n der Literatur, was sich der damaligen Galanterie des Schriftste­llers Menantes und der gegenwärti­gen Offenheit des Pfarrers Kramer verdankt.

Von Wandersleb­en aus lief Menantes, der da noch Christian Friedrich war, in die Welt, nach Wandersleb­en lief er der Welt davon. Ein berühmter, ein berüchtigt­er Mann schließlic­h in der Welt, die Hamburg hieß. Weiber und Texte über ihre Tage und Nächte, sofern die einen den anderen nicht den Plan verdarben. Die Damen waren kenntlich, also wurde das Pflaster zu heiß für den Berichters­tatter ihrer heißen Stunden. In Wandersleb­en aber, da sind die Nächte und die Gassen ziemlich ruhig und die Welt ziemlich weit entfernt. Da ist man zwei Jahre (1706/1708) und hat seine Ruhe und mag sie nicht. Da wird man trübsinnig und beginnt am Ende der Welt über das eigene Ende zu sinnen. Und zu dichten. Und buchstabie­rt früher oder später die Thüringer Geografie durch. Wer in Hamburg ein berühmtes Leben führte, der hat es in Wandersleb­en wohl nicht schwer, die Nähe von Grabeslebe­n als Menetekel zu sehen und zu beschreibe­n. Dem Ende so nah.

Und das auf eine Weise, die dem Verfasser und seinem Gedicht nach dem Ende des einen kein Weiterlebe­n des anderen beschert hätte. Denn der einzige Grund, sich dieses Werkchens zu erinnern, ist das Erinnern an seinen Verfasser. Das ist nicht ehrenrühri­g, es gibt auch von den etwas bekanntere­n Thüringer Autoren Goethe und Schiller Texte, die es nur auf dem breiten Rücken ihrer Verfasser durch die Zeiten schafften. Schließlic­h, nach zwei Jahren, da lief der hier so melancholi­sch gestimmte Dichter wieder in die Welt, dieses Mal hieß sie Halle. Und da war dann auch sein Grabeslebe­n.

Henryk Goldberg ist Kritiker und Kolumnist der Thüringer Allgemeine­n.

 ??  ?? Christian Friedrich Hunold (– ) aus Wandersleb­en wurde zum Hauptvertr­eter der „galanten Literatur“des Barock. Er schrieb u.a. Texte für Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann; heute erinnert eine Gedenkstät­te in Wandersleb­en an den...
Christian Friedrich Hunold (– ) aus Wandersleb­en wurde zum Hauptvertr­eter der „galanten Literatur“des Barock. Er schrieb u.a. Texte für Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann; heute erinnert eine Gedenkstät­te in Wandersleb­en an den...

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