Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Thüringer Melancholie
Unser Wandersleben. Ohne Christian Friedrich Hunold hätte man jenseits des 20-Kilometer-radius wohl keinerlei Kunde von dem Flecken vernommen, ausgenommen bei den intimen Freunden der Drei Gleichen. So wenigstens kommt es vor bei den intimen Freunden der Literaturgeschichte und bei denen der intimen Geschichten der Literatur, was sich der damaligen Galanterie des Schriftstellers Menantes und der gegenwärtigen Offenheit des Pfarrers Kramer verdankt.
Von Wandersleben aus lief Menantes, der da noch Christian Friedrich war, in die Welt, nach Wandersleben lief er der Welt davon. Ein berühmter, ein berüchtigter Mann schließlich in der Welt, die Hamburg hieß. Weiber und Texte über ihre Tage und Nächte, sofern die einen den anderen nicht den Plan verdarben. Die Damen waren kenntlich, also wurde das Pflaster zu heiß für den Berichterstatter ihrer heißen Stunden. In Wandersleben aber, da sind die Nächte und die Gassen ziemlich ruhig und die Welt ziemlich weit entfernt. Da ist man zwei Jahre (1706/1708) und hat seine Ruhe und mag sie nicht. Da wird man trübsinnig und beginnt am Ende der Welt über das eigene Ende zu sinnen. Und zu dichten. Und buchstabiert früher oder später die Thüringer Geografie durch. Wer in Hamburg ein berühmtes Leben führte, der hat es in Wandersleben wohl nicht schwer, die Nähe von Grabesleben als Menetekel zu sehen und zu beschreiben. Dem Ende so nah.
Und das auf eine Weise, die dem Verfasser und seinem Gedicht nach dem Ende des einen kein Weiterleben des anderen beschert hätte. Denn der einzige Grund, sich dieses Werkchens zu erinnern, ist das Erinnern an seinen Verfasser. Das ist nicht ehrenrührig, es gibt auch von den etwas bekannteren Thüringer Autoren Goethe und Schiller Texte, die es nur auf dem breiten Rücken ihrer Verfasser durch die Zeiten schafften. Schließlich, nach zwei Jahren, da lief der hier so melancholisch gestimmte Dichter wieder in die Welt, dieses Mal hieß sie Halle. Und da war dann auch sein Grabesleben.
Henryk Goldberg ist Kritiker und Kolumnist der Thüringer Allgemeinen.