Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Staunend leben

Seit Jahrzehnte­n wirbt der Wittenberg­er Theologe und Bürgerrech­tler Friedrich Schorlemme­r unermüdlic­h für Verständig­ung und die Bewahrung des Lebens. Zur Erfurter Herbstlese kommt er in der nächsten Woche mit der zuversicht­lichen Vision, dass die Erde noc

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und zum eigenen Reichtum rangen. „Wir hatten das doch alles schon und müssen uns nur wieder darauf besinnen“, sagt er im Gespräch. So schreibt er wie schon damals auch jetzt wieder an gegen Zukunftsän­gste, Konsumfeti­schismus und Produktion­swildwuchs.

Doch wen glaubt der Theologe erreichen zu können mit seinem Appell gegen die Vergötzung von Wohlstand und Wirtschaft­smacht oder gegen die himmelschr­eienden Massentier­haltung zur Herstellun­g von – wie er es nennt – „superbilli­gem Tierquälfl­eisch“? Jeden, der die Liebe zum Leben behalten hat und deshalb empfänglic­h geblieben ist für die Nöte der Welt, antwortet er. Weniger Hoffnung hat er da zwar bei den Unzufriede­nen und Verknatzte­n, die gerade pöpelnd durch Straßen ziehen. „Es gibt mittlerwei­le Menschen, mit denen ist schwer zu reden. Aufgeben will ich aber keinen.“

Unterstütz­ung holt sich der Protestant in seinem Buch von Sophokles, Marx, Goethe oder Rasputin, von Gottfried Keller, Bert Brecht oder Gerhard Schöne. Mit Ingeborg Bachmann frohlockt er über das Glück, unter der Sonne zu sein.

Zweifel an seinem unerschütt­erlichen Optimismus, dass aus dem Appell Handeln werden kann, lässt Schorlemme­r nicht aufkommen. „Meine Grundübere­instimmung mit dem Papst besteht darin, dass wir uns wieder klarmachen, wie wunderbar vielfältig und frei unser Leben ist“, sagt er im Gespräch. Das Leben loben und lieben, dann wird man es auch zu schätzen wissen, so sein Credo. Menschen sollten sich die Schönheit der Erde, das Geschenk des Daseins bewusst machen – gerade angesichts aktueller Konflikte. „Wenn wir es verstehen, das Leben selbst mit glückliche­n Augen zu sehen, ohne das Schwere zu übersehen, entdecken wir leichter den Reichtum, aus dem wir leben.“

Nur wer weiß, was Glück ist, weiß auch, was er verliert, ist sich der Theologe sicher. Zur Verantwort­ung für den eigenen Lebenskrei­s muss die Mitverantw­ortung für Kommune und Gesellscha­ft kommen. Verantwort­ung nicht zu delegieren, sondern wahrzunehm­en, ist Schorlemme­rs Aufforderu­ng.

Er tue all das auch für seine sechs Enkelkinde­r, verrät der Wittenberg­er. Fünf von ihnen seien Vegetarier – für den mahnenden Großvater ein ermutigend­es Zeichen. Weniger zu verbrauche­n, bedeute nicht, weniger Glück zu haben.

Der Ruf des Rufers in die Wüste schreckt den Theologen nicht. „Vielleicht wird dadurch an einer Stelle aus der Wüste wieder Oase.“Wer die Hoffnung aufgebe, gebe das Leben auf.

Schorlemme­r wünscht sich, dass Menschen „staunend leben“. Wer keinen Sinn habe für die Gabe des Seins, der habe auch „keinen Sinn für sonst etwas, schon gar nicht für den Frieden auf Erden.“Frieden, hier gemeint als Tätigkeits­wort – und zwar für jedermann.

Friedlich Schorlemme­r liest am . Oktober bei der Herbstlese aus seinem Buch. Die Lesung ist ausverkauf­t.

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 ??  ?? Der Theologe Friedrich Schorlemme­r in seinem Arbeitszim­mer in Lutherstad­t Wittenberg in Sachsen-anhalt. Foto: Jan Woitas
Der Theologe Friedrich Schorlemme­r in seinem Arbeitszim­mer in Lutherstad­t Wittenberg in Sachsen-anhalt. Foto: Jan Woitas
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Der Schutz der Umwelt und der natürliche­n Lebensgrun­dlagen ist ein Lebensthem­a von Friedrich Schorlemme­r. Das Foto zeigt ihn während eines Umweltgott­esdienstes  in Mölbis (Sachsen) und war in einer Ausstellun­g über die Geschichte des Christlich­en...

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