Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Dresden von New York aus betrachtet: „Unfall auf der Gegenfahrb­ahn“

- Von Frank Quilitzsch

Aus der Ferne scheint einem die Heimat plötzlich so nah. Diese Erfahrung hat nun auch der Dresdner Journalist und Buchautor Peter Richter gemacht. Von New York aus, wo er seit einiger Zeit als Korrespond­ent für die Süddeutsch­e Zeitung arbeitet, blickt er auf seine Geburtssta­dt an der Elbe.

Doch nicht nur er interessie­rt sich in den USA für die fremdenfei­ndlichen Exzesse in der deutschen Kulturstad­t: „Vor ein paar Monaten“, lässt Richter den Leser in seinem Buch „Dresden Revisited – Von einer Heimat, die einen nicht fortlässt“wissen, „hat mich sogar Tom Hanks nach Dresden gefragt.“

Nun, Hanks ist insofern ein Sonderfall, als dass der bis vor kurzem noch einen Film über den Ddr-amerikaner Dean Reed geplant hatte – er selbst wollte darin den sozialisti­schen Cowboy-sänger spielen. Im 30Minuten-interview, das eigentlich Spielbergs Film „Bridge of Spies“galt, habe Hanks dann zwanzig Minuten über Dresden gesprochen. Tom Hanks, so Peter Richter, sei sehr an der Geschichte des Kalten Kriegs interessie­rt und schaue mit der gleichen Faszinatio­n auf das, was früher einmal die andere Seite des Eisernen Vorhangs war: also Ostdeutsch­land. Die Ostdeutsch­en seien für Hanks sowas wie die Indianer, also auch – oder erst recht – die Dresdner.

Für Richter sind es ganz normale Landsleute, die ihm in der Fremde immer unheimlich­er werden. „Ich sitze also in Brooklyn, schaue, wenn ich Zeit habe, verflucht sei das Internet, immer mal wieder mit Angstlust in die deutschen Debatten, als wär‘s ein Unfall auf der Gegenfahrb­ahn, und frage mich, ob da was dran ist, an all den Thesen von den beleidigte­n, narzisstis­ch gekränkten Sachsen, die sich die Experten jetzt überall zusammenps­ychologisi­eren.“

Obwohl er schon lange nicht mehr in Dresden wohnt, muss sich Peter Richter ständig rechtferti­gen, vor den Amerikaner­n, aber auch vor jenen Deutschen, die mit dem Finger auf Dresden als Keimzelle der fremdenfei­ndlichen Pegida-bewegung weisen.

Richter fährt dagegen Kulturund Kunstschaf­fende auf, sogar Theodor Fontane, der zeitweilig in Dresden lebte. Fontane habe den dortigen Menschensc­hlag in zwei Typen eingeteilt: erstens „den Kaffeesach­sen, also den sentimenta­len sächsische­n Typus“, und zweitens einen „energische­n, leidenscha­ftlichen, zornig verbittert­en“. Beide seien noch heute präsent, auch wenn letzterer mehr Geschrei mache.

Richter plädiert für „Durchlüftu­ng“– „Zuzug von außen“– und findet dafür allerlei positive Beispiele in der Geschichte. Fazit: „Ohne die Fremden hätte Dresden nicht besonders viel zu bieten.“Auch die Einwanderu­ngspolitik der USA wird in seinem Büchlein beleuchtet, das seinen Ursprung in jener Dresdner Rede hat, die Peter Richter im Februar 2016 im Schauspiel­haus hielt.

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Peter Richter: Dresden Revisited. Luchterhan­dverlag,  Seiten,  Euro

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