Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Chemnitz rätselt über den Terror nebenan
Das Wohngebiet „Fritz Heckert“gilt als ruhige Gegend. Probleme mit Ausländern gab es nicht. Dann rückte die Polizei an
Chemnitz. In das Haus Nummer 97 auf der Chemnitzer Straße Usti nad Labem kommt mit Ausnahme von Polizisten und Ermittlern am Sonntagmorgen niemand rein und raus. Die kaputte Fensterscheibe einer Wohnung in der 3. Etage zeugt davon, dass etwas anders ist als sonst. Dahinter soll der mutmaßliche Terrorist Dschaber albakr eine Bombe gebaut haben.
Die Ermittler finden nach der Erstürmung Hunderte Gramm eines gefährlichen Sprengstoffs. An den geflüchteten Syrer erinnert sich in der Siedlung am Rande der sächsischen Industriestadt niemand konkret.
Im Wohngebiet „Fritz Heckert“ist der 22-jährige Terrorverdächtige ein Phantom. Erst am Tag danach kommt heraus, dass die Beamten den jungen Mann gesehen haben, den der Verfassungsschutz schon länger beobachtete. Der junge Syrer bekam wohl mit, wie die Einsatzteams anrückten und entwischte knapp.
Seit Längerem leben auch Flüchtlinge in dem beschaulichen Wohngebiet. „Die waren unauffällig, ob der Mann dabei war, weiß ich nicht“, sagt Ilona Schmieder. „Das waren hübsche junge Männer, fesche jugendliche Kerle, und einer hatte Rastalocken“, erinnert sich die 65-Jährige. Sie wohnt zwei Hauseingänge weiter. „Es ist eine total ruhige Gegend hier, das kommt nun alles als Plattenbaugegend in Verruf.“
Dabei ist das zu Ddr-zeiten errichtete Heckert-gebiet südwestlich der Innenstadt gepflegt, die fünfstöckigen Wohnblocks sind saniert, die Innenhöfe grün. „Alle fühlen sich sehr wohl hier“, berichtet Schmieder. Vor allem ältere Menschen leben dort. Es gab nie Probleme oder Streit mit den Ausländern, betont Schmieder. Aber gewundert habe man sich, dass in den altersgerechten Wohnungen meist jüngere Flüchtlinge untergebracht wurden.
Was hinter der Wohnungstür in der 3. Etage vorging, blieb weitgehend unbemerkt. Auch sein Besucher fiel nicht besonders auf. „Hier waren immer Ausländer, man hat sich akzeptiert“, sagt ein Spaziergänger. Der Terrorverdacht werfe nun wieder ein schlechtes Licht auf Ausländer, bedauert Jürgen Bader, der seit 35 Jahren in der Nachbarschaft wohnt und auch über Stunden nicht in sein Zuhause konnte. „Das ist alles sehr traurig“, meint der 74-Jährige.
„Die waren sehr unauffällig“, sagt eine 26-Jährige. Die Physiotherapeutin lebt mit ihrem Freund, einem Studenten, in der ersten Etage des gesperrten Hauses. Auch der 25-Jährige kann sich nicht erinnern, die Nachbarn mal gesehen zu haben.
Dass das Haus beobachtet wurde, haben sie aber bemerkt. Andere Nachbarn berichteten von Männern, die Fotos gemacht haben. Das junge Pärchen durfte am Nachmittag persönliche Sachen aus seiner Wohnung holen, die nur zwei Betondecken vom Sprengstoff trennten. „Man darf gar nicht darüber nachdenken“, sagte die 26-Jährige. „Das ist beängstigend.“