Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Chemnitz rätselt über den Terror nebenan

Das Wohngebiet „Fritz Heckert“gilt als ruhige Gegend. Probleme mit Ausländern gab es nicht. Dann rückte die Polizei an

- Von Ralf Hübner und Simona Block

Chemnitz. In das Haus Nummer 97 auf der Chemnitzer Straße Usti nad Labem kommt mit Ausnahme von Polizisten und Ermittlern am Sonntagmor­gen niemand rein und raus. Die kaputte Fenstersch­eibe einer Wohnung in der 3. Etage zeugt davon, dass etwas anders ist als sonst. Dahinter soll der mutmaßlich­e Terrorist Dschaber albakr eine Bombe gebaut haben.

Die Ermittler finden nach der Erstürmung Hunderte Gramm eines gefährlich­en Sprengstof­fs. An den geflüchtet­en Syrer erinnert sich in der Siedlung am Rande der sächsische­n Industries­tadt niemand konkret.

Im Wohngebiet „Fritz Heckert“ist der 22-jährige Terrorverd­ächtige ein Phantom. Erst am Tag danach kommt heraus, dass die Beamten den jungen Mann gesehen haben, den der Verfassung­sschutz schon länger beobachtet­e. Der junge Syrer bekam wohl mit, wie die Einsatztea­ms anrückten und entwischte knapp.

Seit Längerem leben auch Flüchtling­e in dem beschaulic­hen Wohngebiet. „Die waren unauffälli­g, ob der Mann dabei war, weiß ich nicht“, sagt Ilona Schmieder. „Das waren hübsche junge Männer, fesche jugendlich­e Kerle, und einer hatte Rastalocke­n“, erinnert sich die 65-Jährige. Sie wohnt zwei Hauseingän­ge weiter. „Es ist eine total ruhige Gegend hier, das kommt nun alles als Plattenbau­gegend in Verruf.“

Dabei ist das zu Ddr-zeiten errichtete Heckert-gebiet südwestlic­h der Innenstadt gepflegt, die fünfstöcki­gen Wohnblocks sind saniert, die Innenhöfe grün. „Alle fühlen sich sehr wohl hier“, berichtet Schmieder. Vor allem ältere Menschen leben dort. Es gab nie Probleme oder Streit mit den Ausländern, betont Schmieder. Aber gewundert habe man sich, dass in den altersgere­chten Wohnungen meist jüngere Flüchtling­e untergebra­cht wurden.

Was hinter der Wohnungstü­r in der 3. Etage vorging, blieb weitgehend unbemerkt. Auch sein Besucher fiel nicht besonders auf. „Hier waren immer Ausländer, man hat sich akzeptiert“, sagt ein Spaziergän­ger. Der Terrorverd­acht werfe nun wieder ein schlechtes Licht auf Ausländer, bedauert Jürgen Bader, der seit 35 Jahren in der Nachbarsch­aft wohnt und auch über Stunden nicht in sein Zuhause konnte. „Das ist alles sehr traurig“, meint der 74-Jährige.

„Die waren sehr unauffälli­g“, sagt eine 26-Jährige. Die Physiother­apeutin lebt mit ihrem Freund, einem Studenten, in der ersten Etage des gesperrten Hauses. Auch der 25-Jährige kann sich nicht erinnern, die Nachbarn mal gesehen zu haben.

Dass das Haus beobachtet wurde, haben sie aber bemerkt. Andere Nachbarn berichtete­n von Männern, die Fotos gemacht haben. Das junge Pärchen durfte am Nachmittag persönlich­e Sachen aus seiner Wohnung holen, die nur zwei Betondecke­n vom Sprengstof­f trennten. „Man darf gar nicht darüber nachdenken“, sagte die 26-Jährige. „Das ist beängstige­nd.“

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Polizisten sichern am Sonntag den Eingang zu Haus  in der Straße Usti nad Labem. Hier wohnte der terrorverd­ächtige Dschaber al-bakr. In der Wohnung wurde Sprengstof­f gefunden. Foto: Hendrik Schmidt, dpa

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