Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Fehlkommun­ikation

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Tausende Menschen arbeiten allein in Deutschlan­d daran, Politik halbwegs sinnvoll zu kommunizie­ren. Es gibt eigene Studiengän­ge für Sprecher und Öffentlich­keitsarbei­ter. Jedes Jahr erscheinen Bücher, die sich mit der Tatsache beschäftig­en, dass Politik ohne Kommunikat­ion nicht einmal stattfinde­t.

In der modernen Welt ist aus Politik und Kommunikat­ion eine Einheit geworden, ein System miteinande­r kommunizie­render Röhren. Nicht nur Wahlkampag­nen, auch Gesetze werden vorher auf ihre Öffentlich­keitswirks­amkeit abgeprüft.

Wie in der Wirtschaft, die ihre Werbetechn­iken ständig neu erfindet, gibt es auch in der Politik riesige Stäbe, die sich ausschließ­lich mit der Beziehung zur Öffentlich­keit, also mit Public Relations beschäftig­en. Nichts geht mehr ohne die richtige PR, schon gar nicht im digitalen Zeitalter.

Man kann bekanntlic­h mit jedem Mist die Leute hinter sich bringen, wenn neben den Umständen die zugehörige Propaganda stimmt. Ein paar gut verdaulich­e, stimmungsm­achende Halbwahrhe­iten, Vorurteile oder Lügen zum richtigen Zeitpunkt knallig vorgetrage­n: Und zack . . .

Dies funktionie­rt aber ebenso prima anders herum. Auch die beste Idee lässt sich kaputtkomm­unizieren. Wer in einer Demokratie nicht in der Lage ist, seinen Plan den wahlberech­tigten Bürgern irgendwie ausreichen­d zu begründen und erklären, darf einpacken.

Natürlich wissen dies alle Beteiligte­n. Nach verlorenen Wahlen gehört die Formulieru­ng, dass leider dies oder jenes (Hartz IV, die Flüchtling­spolitik, die x-te Gesundheit­sreform) „schlecht kommunizie­rt“worden sei, zum gängigen Repertoire. Gerne wird auch davon gesprochen, dass man die Bürger „nicht genügend mitgenomme­n“habe.

Zwar ist dies oft genug eine Ausrede, weil man so politische und handwerkli­che Fehler verdecken will. Doch dies macht die Analyse nicht unbedingt falsch.

In Thüringen stehen drei politische Kommunikat­ionsjahre an. 2017 werden die Bundestags­abgeordnet­en gewählt, 2018 Landräte, Bürgermeis­ter und Kommunalpa­rlamente – und 2019 die Landtagsab­geordneten. Aus jetziger Sicht dürften dann Linke, Sozialdemo­kraten und Grüne ausreichen­d Gelegenhei­t zur kommunikat­iven Buße erhalten.

Was zuletzt geschah: Da ist ein Justizmini­ster, der sich mit jedem Satz, mit dem er sich aus einer Affäre herausmanö­vrieren wollte, tiefer hineinarbe­itete. Da sind ein paar Linkefunkt­ionäre, die nicht begreifen, dass sich Thüringen nicht per Dekret regieren lässt. Und da ist ein Ministerpr­äsident, dessen beachtlich­es Kommunikat­ionstalent ihn erst in sein Amt gebracht hat – doch der sich im Internet gebärdet, als habe ihm Mike Mohring etwas in den Kaffee getan.

Wie es Bodo Ramelow schaffte, per Twitter aus einer peripheren Dummdreist­igkeit eines Mitarbeite­rs der Linke-fraktion, die sich schnell versendet hätte, stetig neue Negativnac­hrichten zu fabriziere­n, ist ein Lehrbeispi­el politische­r Fehlkommun­ikation. Anstatt sich davon zu distanzier­en, dass ein Foto der rot-rot-grünen Fraktionsc­hefs mit dem Schriftzug ACAB (All Cops are Bastards) aufgehübsc­ht wurde, teilte er noch gegen jene aus, die berechtigt­e Kritik übten. Die zweitbeste Option wäre Schweigen gewesen.

Diese Woche soll nun die neue Struktur der Landkreise präsentier­t werden, was kein einfaches Unterfange­n wird. Die Gebietsref­orm ist ein notwendige­s, aber eben auch ein komplexes und bürokratis­ches Vorhaben, das kluger, empathisch­er und geduldiger Erklärung bedarf.

Jenseits der eklatanten inhaltlich­en Schwächen lässt sich feststelle­n, dass sich die Reform zum Pr-debakel entwickelt. Ein Innenminis­ter, der redet, als sei Kommunikat­ion eine Krankheit, eine Linke-chefin, die Kritiklosi­gkeit vorschreib­en will – und drei Parteien, die stets für Volksbegeh­ren stritten, aber nun überforder­t wirken, weil sich eine Initiative gegen sie richtet: Das wird ein interessan­ter Herbst.

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