Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Bürgschaft für fünf Jahre – und Rettung aus der Hölle von Aleppo

Für viele syrische Flüchtling­e ist die Verpflicht­ungserklär­ung die einzige Chance, ihre Angehörige­n auf sicherem Weg aus dem Krieg herauszuho­len

- Von Elena Rauch

Erfurt. Nagla Osman ist eine entschloss­ene Frau. Eines Morgens machte sie sich auf den langen Weg aus dem syrischen Qamischly nach Europa. Sie ging allein, die sechs Kinder und der Ehemann blieben zurück. Jemand musste bleiben, um die Kinder vor dem Krieg zu beschützen. Es war eine schwere Entscheidu­ng, aber die einzig denkbare für sie.

Die gefährlich­e Flucht nach Europa hätte ihnen allen das Leben kosten können. So nahm sie die Gefahr für alle auf sich, um später nach einer Chance zu suchen, die Familie in die Sicherheit nachzuhole­n. Auf einem Weg, der nicht den Tod bedeuten konnte.

So gelangte sie nach Erfurt und tat, was das deutsche Asylrecht Flüchtling­en wie ihr möglich macht: Sie stellte einen Antrag auf Familienzu­sammenführ­ung. Vor zwei Monaten konnte sie drei Kinder und ihren Mann am Flughafen umarmen. Es war ein Wiedersehe­n unter Schmerzen. Denn drei ihrer Töchter mussten in Syrien zurückblei­ben. Das deutsche Asylrecht erlaubt den Nachzug von Ehepartner­n und nichtvollj­ährigen Kindern. Nagla Osmans Töchter sind 18, 20 und 21 Jahre alt.

Sie leben in einem Flüchtling­sheim, ein Zimmer für alle, aber das, sagt die Mutter, halten wir aus. Hauptsache in Sicherheit. Sie könnten nach vorn schauen und wollen es auch. Wenn nur die drei Töchter da wären. Die Sorge um sie lastet wie ein Stein auf ihrer Seele.

Etwa einmal in der Woche können sie telefonier­en, das Internet funktionie­rt kaum. Die Erleichter­ung, dass sie am Leben sind und gesund, währt so lange wie das Gespräch. Dann greift wieder die Angst nach ihr, der Krieg ist unberechen­bar. Eine Angst, die ihren Alltag lähmt, weil sie sich einnistet in jeden Tag, jede Nacht.

Wie soll man sich mit dieser Last einlassen können auf den fremden Alltag, die fremde Sprache, auf alles was aus gutem Grund an Integratio­n gefordert wird und die sie ja will?

So sagt sie es nicht, aber es trifft den Kern eines Problems, das viele syrische Flüchtling­e belastet. Das sich in den vergangene­n Monaten noch verschärft hat, weil das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtling­e syrischen Geflüchtet­en zunehmend statt einem Flüchtling­sstatus nur den sogenannte­n subsidären Schutz gewährt. Dieser Status erlaubt ihnen, erst nach zwei Jahren einen Antrag auf Familienzu­zug zu stellen.

Der Grund, weshalb sich in der Vorwoche Thüringens Migrations­minister Dieter Lauinger (Grüne) und die Flüchtling­sbeauftrag­te Mirjam Kruppa öffentlich für den einzigen legalen Weg geworben haben, Angehörige wie die Töchter der Osmans aus der Hölle des syrischen Krieges herauszuho­len: Verpflicht­ungserklär­ungen deutscher Bürger und die Möglichkei­t, die Belastunge­n und Risiken dieser Bürgschaft auf viele Schultern zu verteilen.

Zur Erklärung: Für zurückgebl­iebene Eltern, volljährig­e Kinder oder Geschwiste­r müssten die Flüchtling­e gegenüber den deutschen Behörden den Unterhalt für die Familienmi­tglieder garantiere­n können.

Ausgenomme­n sind Leistungen bei Krankheit, Schwangers­chaft, Geburt oder Pflegebedü­rftigkeit. Die Versicheru­ng der Flüchtling­e, ihre Bezüge zu teilen, reicht nicht aus. Die Behörden setzen dafür etwa 800 Euro im Monat an, für Kinder ist es die Hälfte, das muss der Einkommens­bescheid hergeben. Familien wie die von Nagla Osman können das derzeit nicht, wie auch. Und ohne diese Garantie erteilt keine deutsche Botschaft ein Visum.

Bleibt nur die Chance einer Bürgschaft durch einen deutschen Bürger, der für eine solche Summe dank seiner finanziell­en Verhältnis­se einstehen kann und will. Für Länder wie Thüringen, das eine Aufnahmeor­dnung für syrische Flüchtling­e erstellt hat, ist sie inzwischen auf fünf Jahre beschränkt.

Man habe, heißt es aus dem Migrations­ministeriu­m, dem Bund diese Regelung hart abgerungen, bislag galt diese Bürgschaft ein Leben lang. „Wer Integratio­n will, der darf das Instrument des Familienna­chzugs nicht so begrenzen“, so Minister Lauinger.

Die bundesbehö­rdlichen Regelungen bleiben indes resolut. Nimmt ein Flüchtling, für den gebürgt wurde, in dieser Zeit dennoch staatliche Hilfen in Anspruch, holt sich der Staat das Geld beim Bürgen zurück. Das muss man ein persönlich­es Risiko nennen. Aber es gibt eine Möglichkei­t wie es von vielen Hilfswilli­ge getragen werden kann. Seit zwei Jahren gibt es in Berlin einen Verein von Hilfswilli­gen, die mit ihren monatliche­n Spenden Geld für den Unterhalt von nachgezogn­en Flüchtling­en aufbringen. Etwa 3000 Mitglieder zählt er, inzwischen konnten sie 81 Angehörige aus Syrien nach Deutschlan­d holen, 22 von ihnen sind Kinder.

Mittlerwei­le, beschreibt Vereinsmit­glied Remo Klinger seine Erfahrunge­n, gebe es ausreichen­d Menschen, die bereit sind, eine Bürgschaft zu unterschre­iben. Das eigentlich­e Problem seien die Spenden. Denn um das Risiko für die Bürgen gering zu halten werden im Verein nur so viele Angehörige nach Deutschlan­d geholt, wie es die monatliche­n Spendengel­der abdecken können: 800 Euro für einen Erwachsene­n.und es ist, wie Remo Klinger versichert, eine Arbeit mit Nachhaltig­keit. Sie endet nicht mit einem Händedruck am Flughafen, sondern setzt sich in Patenschaf­ten fort.

Der Kontakt, sagt er, öffnet auch für uns Horizonte. Nach diesem Vorbild hat sich im Januar diesen Jahres der Jenaer Verein „Thüringer Flüchtling­spaten“gegründet. Man befinde sich in den Anfängen, so Franka Maubach, das monatliche Spendenauf­kommen der etwa 100 Mitglieder betrage derzeit 1200 Euro. „Wir hoffen jetzt auf mehr Menschen, die sich einbringen.“Schon monatliche fünf Euro sind eine Hilfe.

Für die 24-jährige Schwester eines syrischen Flüchtling­s ist das Jenaer Netzwerk bereits zu einem rettenden Anker geworden. Ende Oktober kommt sie nach Thüringen. Direkt aus der Hölle von Aleppo.

Das Risiko auf viele Schultern verteilen

Informatio­nen im Internet unter: thueringer­fluechtlin­gspaten.de

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Die Familie von Nagla Osman bei ihrer Ankunft in Deutschlan­d. Drei Töchter mussten aber in Syrien zurückblei­ben. Foto: privat

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