Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Die hellen und die dunklen Nuancen des Begehrens
Ballettklassiker „Schwanensee“am Theater Nordhausen geradlinig und schnörkellos inszeniert
Hommage an immerwährende, elementare, erotisch motivierte Konflikte, bestechend geradlinig und schnörkellos. Die Fragestellung nach einer möglichen Dreisamkeit im Angesicht wahrer Liebe, wie sie das erste, zur Ouvertüre aufleuchtende Bild stellt, kehrt im Schlussbild als ungelöstes Problem zurück. Man möchte sagen: Wenn sich zwei streiten, leidet der Dritte!
Trotz seiner Schnitte in der Partitur offeriert Ivan Alboresi nicht bloß ein anderes Milieu ohne Deutungs- oder Aussageabsicht, sondern er projiziert die märchenhafte Poesie des Werkes auf gegenwärtig ganz real wirkende Individuen. Und wenn die Bühnenbilder (Ronald Winter) allzu schön zu werden beginnen, dann beweisen sich der Video-zerhacker-effekt und die glitzernde, spiegelbildliche Erscheinung von See und Eisblumen als probate Reflexion des Themas. Prächtiger Nebeneffekt: eine augenblendende Vervielfachung der mit Anzügen und leicht wehenden Stoffen von Anja-schulz-hentrich umgarnten Tänzer.
Siegfried, ein junger Mann, möchte sich im Streben nach der wahren Liebe beweisen. Übermächtige Gefühle treiben ihn in die Arme der verzauberten Schwanenprinzessin Odette, der nur aufrichtige, erlösende Liebe menschliche Gestalt zurückgeben kann. Doch Odette hat in Odile ein schwarzes, den stattlichen Jüngling umwerbendes Ebenbild.
Weib und Mann als Spielball mit doppeltem Boden zeigt der Choreograf auch durch Namensgebung an. Deshalb tanzen in konkurrierender Doppelgängerschaft SIEGFRIED (David Nigro) und Siegfried (András Dobi).
Trotz imponierend zur Schau getragener Männlichkeit gewinnen beide ihre stärkste Ausstrahlung gemeinsam mit der begehrten Odette (Konstantina Chatzistavrou) und Odile (Ayako Kikuchi). Die hellen und dunklen Nuancen des Begehrens finden durch eine Leichtigkeit des tänzerischen Seins zu umwerfendem Ausdruck.
Zudem regnet es auf diese von Ivan Alboresi gezeichnete Vision im funkelnden Eispalast Rosenblätter als Sinnbild stark inszenierter Gefühle.
Nordhausens „Schwanensee“ist somit kein Dorfteich lahmer Enten, sondern ein stürmisches Meer erfolgreicher, tierischmenschlicher Selbstbehauptung.