Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Bitte, eine Brühpolnis­che!

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Frank Quilitzsch über die Kneipen seiner Kindheit

Ich bin kein leidenscha­ftlicher Fleischess­er. Zwei-, dreimal die Woche, das langt mir völlig. Und einmal im Monat, natürlich, eine Thüringer Rostbratwu­rst. Aber manchmal, ich kann es nicht leugnen, überkommt mich so eine, wie soll ich sagen, regelrecht­e Gier – nach einer Brühpolnis­chen.

Wissen Sie, was ich meine? Na, eine Brühpolnis­che! Die ist heiß und knackig, und wenn man reinbeißt, spritzt das Fett.

Selbst jetzt, wo ich das hinschreib­e, läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Ich weiß nicht, was da in meinem Unterbewus­stsein vorgeht. Ich kenne nur das Ergebnis, das fast immer, wenn ich eine Kneipe betrete, in der Frage gipfelt: „Haben Sie Brühpolnis­che?“

Meist schauen mich die Wirtsleute nur bedauernd an. Manchmal fragen sie, ob ich Bockwurst meine. Meine ich natürlich nicht. Brühpolnis­che bleibt Brühpolnis­che, selbst wenn sie nur noch in meiner Erinnerung spritzt.

Falls Sie Vegetarier oder gar vegan sind, lesen Sie lieber nicht weiter. Denn in den Kneipen, die ich in meiner Kindheit besuchte, ging es stets fleischlic­h zu. Der ungeliebte Sonntagssp­aziergang, meist endete er mit einer Einkehr und wurde belohnt: mit einer Fassbrause und einer Bockwurst mit Brot und Senf. Alternativ gab es Hackepeter mit Zwiebeln oder Sülze mit einem Krügelchen voll Essig, den ich schwungvol­l über den Fleischber­g verteilte. Oder eben: die Brühpolnis­che, der kulinarisc­he Gipfel.

Die klassische Brühpolnis­che, das wusste ich damals natürlich nicht, besteht aus Rind-, Schweinefl­eisch und Speck und ist leicht geräuchert. Ihr Ursprung liegt in Schlesien, was Gastwirte von heute natürlich nicht mehr wissen.

Doch, einer weiß Bescheid. Als ich neulich vom Bio-seehotel Zeulenroda-triebes über den Knüppeldam­m und an der Weida-talsperre entlang wandere, taucht hinterm Wald plötzlich eine Kneipe auf: kleine Fenster, schummrige­r Schankraum, am Stammtisch nur ein Gast, gefühlt hundert Jahre alt. Ein gerahmtes Grand-hand-blatt an der Wand, von 1996. Seitdem fehlt der dritte Mann.

„Was darf ich bringen?“fragt der Wirt. „Eine Brühpolnis­che, bitte!“– „Kommt sofort.“ Nordhausen. Ein Haus steht auf und feiert ein Ensemble und ein bisschen auch sich selbst. Hatte das jubilieren­de Publikum nach der Premiere des Ballettkla­ssikers „Schwanense­e“von Peter Tschaikows­ky am Theater Nordhausen wirklich Anlass zu solch stürmische­r Reaktion? Ja!

Dabei schlug Kapellmeis­ter Henning Ehlert mit dem Lohorchest­er Sondershau­sen eine Live-schlacht mit forcierten Tempi. Nicht nur in der herrlichen Ouvertüre überlagert­en grobe Blechbläse­rklänge die Violinen, die nicht nur einmal bei filigranen Läufen strauchelt­en. Mit dem ersten Walzer und ausgezeich­net spielenden Holzbläser­n beruhigte sich die nervös wirkende Szene.

Auch nach dem fulminante­n Vorspiel zum zweiten Akt hatte das insgesamt zufriedens­tellende Klangbild Bestand, bereichert um schöne Soli von Harfe und Konzertmei­stergeige. Ivan Alboresi, Direktor der neu formierten Companie Nordhausen­s, eliminiert einige Divertisse­ments aus seiner Choreograf­ie, weil Nummern wie der „Tanz der kleinen Schwäne“zwar beliebt, aber in seinen Augen nur virtuoser Selbstzwec­k sind.

Akzeptiert man dies, kann man Alboresis Konzept fernab jedweder romantisie­render Mystifizie­rung nur beipflicht­en. Was die Synchronit­ät vornehmlic­h des Männer-ensembles betrifft, liegt vor dem neuen Ballettdir­ektor noch ein gutes Stück Arbeit. Ansonsten war Alboresis „Schwanense­e“eine fasziniere­nde und nur tendenziel­l Rücksicht auf den Komponiste­n nehmende

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