Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
„Die Utopie ist ein Fluchtpunkt“
Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot und der Ökonom Michael Wohlgemuth stritten über die Zukunft Europas
Erfurt. Dem Begriff Utopie liegt mitunter ein Missverständnis zugrunde. Die von Thomas Morus vor genau 500 Jahren beschriebene Insel Utopia verhandelt einem idealen Ort. Was wir heute darunter verstehen, ist eine ideale Zeit in der Zukunft.
Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot hat ihre Utopie in dem Buch „Warum Europa eine Republik werden muss“skizziert und am vergangenen Freitag im ausverkauften Saal im Haus Dacheröden in Erfurt vorgestellt. Gegenargumente lieferte an diesem Abend Michael Wohlgemuth, der Direktor der Open Europe Berlin ggmbh, der in Jena promoviert hat. Während Ulrike Guérot ihre Vorstellung von einem ideologisch entkernten Europa offenbarte, das ab 2045 von einem Gebilde der Regionen regiert wird und dessen Bürger mit gleichen Rechten ausgestattet sind, sah Micheal Wohlgemuth genau darin die Gefahr einer Insel mit einer „abgeschlossenen Kleingesellschaf“. Einmal abgesehen von ungeklärten ökonomischen Grundfragen, wer in diesem Verbund der Regionen die Steuern einziehen dürfe, wenn es keinen Nationalstaat mehr gibt, wies Michael Wohlgemuth einen fehlenden Rückhalt bei den Bürgern aus: „Es fehlt eine europäische Öffentlichkeit, die diese Idee einer Republik trägt.“
Ulrike Guérot widersprach mit einer Zustandsbeschreibung. Der 1992 beschlossene Vertrag von Maastricht sei ein Konsens gewesen, der eine politische Krise sowie ein Währungskrise erlebt habe. Eine ernsthafte staatliche Vereinheitlichung sei immer wieder verschoben worden. Die Nationalstaaten haben mittlerweile kein Interesse mehr daran, vereinigte Staaten von Europa zu gründen. „Mit 25 Jahren Verspätung haben wir jetzt die Quittung bekommen.“Ulrike Guérot konstatierte: „Wir haben in Deutschland noch kein Gefühl dafür, was die Krise angerichtet hat.“Natürlich sei ihr Buch kein Fahrplan für einen Wandel: „Die Utopie ist ein Fluchtpunkt, keine Ausweglosigkeit.“Michael Wohlgemuth sprach sich für Änderungen im Rahmen der gegebenen Institutionen aus, statt für die Abschaffung der Nationalstaaten. Derartige Reformen hätten in der EU in den vergangenen Jahren längst umgesetzt werden können, so Guérot, wenn man sie gewollt hätte.
Heute liest Jörg Maurer um Uhr im Erfurter Ratsgymnasium aus „Schwindelfrei ist nur der Tod“
! „ Aus den Leidenschaften wachsen die Meinungen; die Trägheit des Geistes lässt diese zu Überzeugungen erstarren.“
Friedrich Nietzsche, Philosoph