Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Kurzweilig mit langen Pässen: Deutschland glänzt beim 3:0
DFB-ELF begeistert in Hamburg gegen Tschechien mit einem alten Rezept. Morgen in Hannover gegen Nordirland
Hamburg. Es war bereits kurz vor Mitternacht, als ein Mitarbeiter der Dfb-medienabteilung zur Eile mahnte. Der Bus der deutschen Nationalmannschaft, die kurz zuvor in einer ungewöhnlich unterhaltsamen Partie Tschechien mit 3:0 bezwungen hatte, stand mit laufendem Motor in der Buseinfahrt des Volksparkstadions, als Mats Hummels erneut aufgehalten wurde. Ob er noch etwas zum Spiel im Allgemeinen („eine unserer besten Leistungen“) und zur Atmosphäre im Stadion im Speziellen („sehr gut“) sagen könnte, wurde der schon zuvor viel befragte Innenverteidiger gebeten. „Es war eines der Länderspiele, die mit Abstand am meisten Spaß gemacht haben“, sagte der Münchner, ehe er sich dann mit dem Hinweis auf die kommende Partie in Hannover gegen Nordirland höflich verabschiedete: „Schönen Abend noch und bis Dienstag!“
3:0 hatte Deutschland an diesem denkwürdigen Sonnabend Tschechien besiegt, was das traditionell eher kritische Hamburger Nationalmannschaftspublikum mit Laola, Ovationen und minutenlangem Applaus quittiert hatte. Thomas Müller hatte zwei Treffer erzielt, Mesut Özil und Mario Götze hatten sich wie in besten Zeiten die Bälle hin und her zugedoppelpasst und auch Toni Kroos hatte ein sehenswertes Tor geschossen.
Doch bester Mann auf dem Platz war mit Hummels ausgerechnet ein Defensivspieler, obwohl die Defensive an diesem Abend gar nicht gefragt war. „Im Fußball ist es doch so, dass meistens der, der die Tore schießt, der Mann des Tages wird“, sagte Thomas Müller (siehe unten) fast entschuldigend – und ergänzte im überfüllten Presseraum des Volksparkstadions: „Aber der Mats hat heute ein richtig gutes Spiel gemacht.“
Der Mats hatte in diesem Spiel vor allem etwas gemacht, was Bundestrainer Joachim Löw noch vor einigen Jahren unter Androhung von persönlicher Strafe kategorisch hatte verbieten lassen: hohe, lange Pässe, die quer über den ganzen Platz segelten. Doch während Löw seinerzeit das Kreisliga-motto „flach spielen, hoch gewinnen“ausgegeben haben soll, waren Hummels‘ zahlreiche zentimetergenaue Diagonalpässe in Hamburg genauso willkommen wie die seines Abwehrkollegen Jerome Boateng. „Mats hat es in der Defensive wie Jerome überragend gemacht, auch in der Spielauflösung“, lobte Löw, der auch verriet, dass er die einst verbotenen langen Bälle gegen die völlig überforderten Tschechen explizit gefordert hatte: „Wir hatten erkannt, dass mit Diagonalbällen die Abwehr aufzureißen ist. Das haben wir dann ganz bewusst gemacht“, eigenlobte der Bundestrainer, der erklärend hinzufügte: „Das Ziel ist immer, viele Spieler vom Gegner zu überspielen mit einem Pass.“
Seit der Europameisterschaft in Frankreich hat diese Form der einst verpönten Spieleröffnung auch noch einen schnittigen Namen: Packing. Sowohl der Begriff als auch die inhaltliche Forderung, die dahinter steckt, sind voll im Trend. Packing bemisst eine neue Qualität im Fußball. Eine Qualität, die von Hummels und auch Boateng in Perfektion zelebriert wurde. Am Ende hatte die Dfb-auswahl 464 Gegner überspielt, Tschechien überpasste gerade mal 235 Deutsche. Und absoluter Packing-könig war jener Hummels: „Seine Diagonalbälle sind alle angekommen“, hatte Torhüter Manuel Neuer beobachtet. „Es war regelrecht ein kleines Battle heute: Wer spielt den schönsten Pass? Das ist mir als Zuschauer von hinten auch aufgefallen.“
Auch Löw, dem Zuschauer von der Seitenlinie, haben die Präzisionspässe seiner Verteidiger gut gefallen – gegen Nordirland morgen soll es aber keine Wiederholung geben. „Nordirland wird wahrscheinlich noch mehr zurückgezogen spielen als Tschechien“, sagte der Bundestrainer, der gegen die Briten in Hannover noch mehr auf Präsenz im gegnerischen Strafraum setzen dürfte. Denn: „Im Sechzehner werden die Tore erzielt.“
Hummels ist der Packing-könig