Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Ludwigs Lust
Für Rennrodler Johannes Ludwig ist Wm-gold mit der Oberhofer Trainingsgruppe ein großes Glück. Morgen Start beim Weltcup
Oberhof. Der Tee schimmert golden. Johannes Ludwig blinzelt durch die große Fensterscheibe in die Mittagssonne und rührt mit dem Löffel im Glas. „Irgendwas mit Ingwer“wäre ihm lieber gewesen. Gibt es leider nicht. Also nimmt er Kamille als Medizin.
Seit seiner Rückkehr aus Innsbruck hat ihn eine Erkältung erwischt. Beim Isserwirt in Lans, dem Nachbardörfchen von Igls, haben sie am Sonntag noch Abendbrot gegessen, die ganze Familie, Frau Katharina, Söhnchen Carlson und Winnie, das Nesthäkchen. Gegen Mitternacht sind die Ludwigs nach vierstündiger Autofahrt wieder zu Hause in Oberhof. Dann fällt die Anspannung von ihm ab. Der Körper nimmt sich sein Recht.
Er hat turbulente Wm-tage in Österreich hinter sich. Sturz im Sprint nach verheißungsvoller Zwischenzeit. Vierter im Einzelrennen und bester Deutscher, aber eben um fünf Hundertstel an der Medaille vorbei. Schließlich das goldene Finale mit der Teamstaffel.
Weltmeister ist Weltmeister, sagt er und blickt auf die goldene Plakette. Mit ein paar Tagen Abstand ist er mit sich im Reinen. Eine Einzelmedaille mag wichtiger, angesehener, wertvoller sein. So wie jene Bronzene, die er 2013 bei den Titelkämpfen im kanadischen Whistler gewann. Das sagt der Rodel-verstand. Doch dieses Innsbrucker Gold liegt ihm näher am Herzen. Weltmeister mit der kompletten Oberhofer Trainingsgruppe, mit Tatjana Hüfner und Toni Eggert und Sascha Benecken. Das ist von den Emotionen her unbeschreiblich. Das berührt ihn tief.
Es beschert ihm eine Erfüllung, die im Individualsport Rennrodeln nur selten zu haben ist und doch immer wieder wohl tut. Das Gefühl, gut aufgehoben zu sein. So beschreibt Ludwig das Trainingsgefüge am Rennsteig mit dem Heimtrainer Jan Eichhorn und dem Cheftechniker Robert Eschrich. Ernsthaft arbeiten und Spaß haben, um Ideen ringen, hören, was der andere sagt. Das kann bei aller sportlichen Individualität und Rivalität inspirierend wirken.
Rennrodeln ist ein sensibler Sport, und die Piloten sind sensible Geister. „Bevor du auf dem Schlitten denkst, etwas tun zu müssen, musst du es schon getan haben“, erklärt es Ludwig. Eine Fuhre bei Tempo 100 erlaubt kein Grübeln. Abläufe müssen automatisiert sein. „Wenn ich etwas bewusst möchte, verkrampfe ich“, sagt er. Selbst der sprichwörtliche Kampfgeist, der Berge versetzen kann, funktioniert im Rodeln so einfach nicht.
Es ist die Leichtigkeit, die man braucht. Die Wege dorthin sind ganz verschieden. In Innsbruck hat Johannes Ludwig seine Familie hoch an das Starthäuschen beordert. „Da hatten wir noch einmal Blickkontakt.“Das beruhigt und beflügelt, entspannt und fokussiert ihn zugleich. Schon beim Weltcupauftakt in Winterberg haben es die Ludwigs so gehandhabt. Mit Erfolg. Er gewinnt das Rennen.
Vor dem Start am Wochenende zu Hause in Oberhof legt er Anfang der Woche einen Tag Pause ein. Gestern früh halb neun sitzt er wieder auf dem Schlitten, fährt im dritten Durchgang in Abwesenheit der anderen Deutschen die schnellste Zeit. Er kennt die Bahn, da kommt er mit vier Trainingsläufen zurecht. Wobei der Heimvorteil nicht so groß ist, wie vielleicht mancher denkt. 35 bis 50 Fahrten kommen maximal pro Saison auf der Oberhofer Bahn zusammen, macht nach zehn Wettkampfjahren rund 500.
Mit seinem vierten Platz von Igls gehört Johannes Ludwig in der kommenden olympischen Saison wieder zum deutschen Akader. „Ein Selbstläufer Richtung Podium ist das aber nicht“, sagt er. Erleben wir derzeit trotzdem den besten Ludwig, den es je gab? Er denkt ein paar Sekunden nach. Ja, das würde er unterschreiben, zumindest, was die Gesamt-performance angeht. Dann hält er wieder inne. „Schade“, sagt er, „dass ich den Stand nicht ein paar Jahre früher erreicht habe.“In elf Tagen wird er 31. Olympia in Pyeongchang bleibt sein Ziel, sein letztes großes.
Und dann? Dann zieht es ihn wohl nach Norden. Ins Niedersächsische, Ecke Hannover, wo Katharina herstammt. Am Steinhuder Meer haben sie ein Segelboot vor Anker liegen. Eine Passion, die beide teilen. Auch beruflich sieht er seine Zukunft auf dem Wasser. Er strebt eine Karriere bei der Bundespolizei zur See an. Dort hat er mal ein Praktikum gemacht. Kontrolle der Hoheitsgebiete, mit dem kleinen Boot an Containerriesen anlegen, ein Hauch von Abenteuer. Das ist sein Masterplan. Er hat ihn im Kopf wie eine Bahn, die vor ihm liegt. die er sich Kurve für Kurve erarbeitet hat. In Euphorie verfällt er nicht. Auch nicht im Sport.
Nicht einmal jetzt nach der für ihn so erfolgreich verlaufenen Weltmeisterschaft. Eine Garantie für den morgigen Weltcup bietet sie nicht. Er weiß, dass gerade in Oberhof der Berchtesgadener Felix Loch mit sechs Siegen hintereinander eine Macht ist. Dass Andi Langenhan, der alte Trainingskollege und Straßennachbar, hier immer starke Fuhren abliefert. Es ist die interne Konkurrenz im deutschen Lager, die anstrengt, die manchmal nervt, die alle aber stets aufs Neue antreibt. Und letztlich erfolgreich macht.
Sollte es mit dem Podium morgen nicht klappen, hätte Johannes Ludwig trotzdem was zu feiern. Winnie ist am Dienstag ein Jahr alt geworden. Am Sonntagnachmittag kommt die ganze Familie zur Feier des Tages zusammen. Für Johannes Ludwig sind es ein paar kostbare Stunden. Schon am Montag geht es für ihn weiter nach Pyeongchang, Südkorea. Zum vorletzten Weltcup der Saison, zur olympischen Generalprobe, zum nächsten Anlauf.
Rennrodeln in der Weltspitze ist kein Kindergeburtstag. Es ist ein ewiger Behauptungskampf.
Gestern Schnellster im dritten Trainingslauf
Oberhofer Weltcup, Heute . Uhr Nationencup. Morgen Uhr Doppel, . Uhr Herren. Sonntag Uhr Damen, . Uhr Teamstaffel.