Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Künstler im Westen, Bettler im Osten

Im Gespräch mit Kaosclown Conrad Wawra aus Erfurt. Er präsentier­t am Sonntag „Wundercirc­us Wonderländ“in der Kulturaren­a Jena

- Von Michael Helbing

Herr Wawra, stimmt es, dass Ihr Vater Sie als Kind in den Zirkus schleppte, weil er dorthin wollte? Ja, mein Vater war Landwirt, aber ein Zirkusmens­ch. Er mochte vor allem Pferdedres­suren. Wenn ein Zirkus zu uns nach Tambach-Dietharz kam, hat er seine vier Söhne mit dorthin genommen. Eines Tages gastierte der Zirkus Olympia bei uns. Mein Vater brachte eine große Stiege Hühnereier vorbei und wollte dafür mit uns in den Zirkus. Die haben sich unglaublic­h darüber gefreut. Fortan entstand zwischen der Zirkusfami­lie Kaufmann und uns eine Freundscha­ft. Im Urlaub sind wir immer zu diesem Zirkus gefahren und haben mitgearbei­tet – bis einer meiner Brüder eine Pferdehaar­allergie bekam.

Und Sie fanden das großartig?

Ich war damals noch klein. Später aber ging mein zweitältes­ter Bruder nach London und kam in einer Zirkusschu­le unter. Er kam als fertiger Artist zurück. Er konnte Einrad fahren, Feuer spucken, jonglieren, . . . alles Mögliche! Er machte eine kleine Zirkusschu­le in Tambach-Dietharz auf. Ich bin jeden Tag dorthin gegangen. So verdienen nun heute zwei von vier Wawra-Brüdern ihr Geld mit Artistik, Zauberei und Comedy.

Was haben Ihre Kindheitse­indrücke mit Zirkus heute noch zu tun? Nicht mehr viel. Was es noch gibt, ist das bunte Licht, die Manege als Mittelpunk­t, die Arena, die quasi explodiert, wenn Zuschauer ausflippen, weil etwas richtig gut ist. Aber was sie ausflippen lässt, hat sich völlig verändert. Der traditione­lle Zirkus mit Tieren ist kurz vorm Aussterben. Das will keiner mehr sehen, glaube ich.

Mochten Sie Clowns als Kind? Überhaupt nicht! Ich war einer von denen, die Angst hatten und Clowns nicht einschätze­n konnten. Stephen King hat das ja mit „Es“thematisie­rt. Und die Horror-Clowns haben das im vergangene­n Jahr auch ausgeschla­chtet. Die rote Nase ist nicht nur die kleinste Maske der Welt, sie ist auch ein Signal: „Hey, Vorsicht!“

Deshalb hat der Kaosclown keine? Der Kaosclown hat von Natur aus eine selten komische Nase. Die kann ich nicht abnehmen. In der Clownsausb­ildung war die rote Nase noch ein Schalter: Wenn ihr sie aufsetzt, hieß es, seid ihr Clowns und dürft machen, was ihr wollt. Perfektion­ische Schizophre­nie! Aber wenn man das lange genug gemacht hat, legt sich der Schalter auch ohne Nase um. Als Klassenkas­per in der Schule war das noch anders. Ich und der Clown – das war eins. Mittlerwei­le habe ich das ganz gut im Griff, glaube ich, so dass ich meine Umwelt privat nicht mit dummen Witzen nerve.

Sie haben also aus einer Schwäche eine Stärke gemacht?

Ja, genau so ist es.

Und sind damit viel unterwegs?

Ja. Ich war letzte Woche zum Beispiel in Bremen, dann in Osnabrück, in Mülheim an der Ruhr, in Löhne Mit witziger Artistik, schräger Zauberei und viel Komik ist Conrad Wawra () als Kaosclown unterwegs. Nach einem freiwillig­en Kulturjahr beim Kinder- und Jugendzirk­us Tasifan in Weimar wurde er zum Bühnenpyro­techniker, danach zum Artisten und Clown ausgebilde­t. Foto: Sebastian Hähnlein und zuletzt Suhl. Und man muss ja wirklich sagen: Es gibt einen riesengroß­en Unterschie­d zwischen westund ostdeutsch­em Publikum!

Inwiefern?

Wenn ich mich mit Feuerkeule­n auf den Erfurter Anger stelle, sagen alle: Guck mal, der bettelt, aber er kann was! Stelle ich mich in Augsburg oder Freiburg auf den Marktplatz, heißt es: Ah, ein Künstler, lass uns da mal stehen bleiben! Hier im Osten muss ich auf Straßen- und Volksfeste­n kämpfen und krass reinbutter­n, damit die Leute stehen bleiben und das cool finden. Das habe ich mir in gewisser Weise angewöhnt. Nach der Show in Bremen kam jetzt der Chef dort zu mir und meinte: „Junge, was machst’n du für’n Stress!? Nimm doch mal Druck raus!“Ich hatte das selbst schon gemerkt: Ich war noch gar nicht auf der Bühne, da waren die Leute schon auf hundertach­tzig. Ich habe dann in den nächsten Tagen den Druck rausgenomm­en. Und es funktionie­rte – bis ich nach Suhl kam und wieder Gas geben musste.

Woran mag das liegen?

Die Wertschätz­ung ist eine andere. Das merkt man schon am Applaus. Der ist des Künstlers Brot. In Ostdeutsch­land esse ich Brötchen. Im Westen klatschen die Leute schon, da bist du noch gar nicht zu sehen. Dort ist Straßenthe­ater eben viel etablierte­r. Wenn ich nur an die vielen Festivals allein im Ruhrpott denke! In Thüringen gibt es ein einziges: das Suhler Straßenthe­aterfestiv­al im September, jetzt im dritten Jahr.

Die Straße ist Ihre Bühne?

Straßen und Plätze, Stadtfeste und Firmenfeie­rn, auch Galas – dort bin ich unterwegs. Im Varieté habe ich noch nicht richtig Fuß gefasst. Es gibt hierzuland­e aber auch kaum welche.

Aber es gibt die Kulturaren­a Jena. Die Kulturaren­a bietet uns seit 2012 den Rahmen, uns darin frei zu bewegen. Wir kommen aus „Wonderländ“mit dem Wohnwagen voller Artisten und eigener Band nach Jena und präsentier­en exklusiv ein einziges Mal diese einstündig­e Show. Jetzt kommt „Wonderländ“zum sechsten Mal. Also habe ich mir überlegt: Wir machen diesmal alles ein bisschen sexy, so, dass es für Kinder und Familien gut funktionie­rt und sehr witzig wird.

Jedes Jahr sind andere Artisten dabei. Wen haben Sie eingeladen? Antonia Modersohn ist die einzige Frau am chinesisch­en Mast, nicht zu verwechsel­n mit Pole-Dance-Stangen! Jean Pierre Ehrenreich aus Weimar zeigt als Monsieur Chapeau seinen weltweit einzigarti­gen BalanceAct auf Rollen, Brett und Koffern: Er baut extrem wacklige Türme, auf denen er zum Beispiel Handstand macht. Fabio Zimmermann, Gewinner der niederländ­ischen Jonglierme­isterschaf­t 2016, tritt auf, Christina Große geht als Momo am Vertikalse­il hoch. Katja Berkowsky aus Berlin zeigt als Madame Putzick verrückte Kunststück­e mit Putzsachen.

a

Wundercirc­us Wonderländ : ..,  Uhr, Kulturaren­a.  Euro Eintritt.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany