Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Grazil mit aller Kraft
Bei diesem Sport sollte man schwindelfrei sein. Unser Autor hat sich in dem runden Turngerät ausprobiert
Erfurt. Das sind sie also. Nacheinander werden sie aus dem Geräteraum in die Halle gerollt. Ich habe von ihnen gehört, nun sehe ich zum ersten Mal Rhönräder in Natura. Sie wirken beeindruckend, beinahe schön in ihren unterschiedlichen Größen und ihrer Schlichtheit.
„Wollen wir?“, fragt mich Elisabeth Schwanengel. Sie trainiert Rhönradturnen im ESV Lok Erfurt und wird mir eine rudimentäre Einführung geben. Rudimentär deswegen, weil es für einen Anfänger undenkbar ist, sofort richtige Übungen oder Küren im Rad zu vollführen. Nicht herausrausfallen oder umkippen reicht am Anfang schon.
„Bereit“, sage ich. Mein Rad misst 2,15 Meter Durchmesser, damit gehört es zu den größeren. Da sei für mich mit meinen 1,82 Metern die ideale Größe, sagt meine Trainerin. Der Aufbau der Rhönräder ist standardisiert und recht simpel: Zwei metallene und kunststoffüberzogene Reifen in reichlich schulterbreitem Abstand sind durch insgesamt sechs Streben miteinander verbunden. Zwei davon besitzen Trittbretter aus Holz, auf die ich mich stelle. Die Füße werden mit sogenannten Bindungen fixiert; Riemen, die festgezurrt werden, damit man mit den Füßen nicht herausrutscht.
Körperspannung bei Umdrehung halten
Mit den Händen ergreife ich die zwei Griffsprossen schräg rechts und links über mir, so dass ich xförmig im Rad stehe. Das ist die für Einsteiger einfachste Variante. Nun wäre es eine Sache der Balance, von selbst Schwingung aufzubauen und ein paar Mal selbstständig rundherum zu rollen. Ich bitte Schwanengel um Starthilfe durch Anschubsen. „Kein Problem“, sagt sie und stößt leicht am Rad. Kopfüber zu sein, bin ich nicht gewohnt, doch das Gleichgewicht soll auch nicht das größte Problem darstellen. Denn bei der Umdrehung um die eigene Achse gilt es vor allem die Körperspannung zu halten, sich mit Füßen sowie Armen und Händen fest im Rad zu halten, damit man nicht hinausfällt und einem das Rad womöglich entgegenkommt.
Schwanengel umschreibt die erforderliche Fußstellung mit „Frosch“und „Prinzessin“: Zuerst die festgeschnallten Füße einem Frosch gleich auf den Trittbrettern nach außen spreizen, dann – filigran wie eine zarte Prinzessin – nach unten drücken, was schon einige Kraft braucht.
Ob ich im Rhönrad filigran rüberkomme, keine Ahnung. Prinzessinnenhaft hoffentlich nicht. Während der Rotationen bin ich nämlich vor allem damit beschäftigt, im Rad zu bleiben, also Beine und Arme so sehr anzuspannen, wie es nur geht.
Rhönräder gelten heute offiziell als Turngerät, während die Sportler zu DDR-Zeiten noch zu den Akrobaten zählten. Erfunden wurde es in den Zwanzigerjahren von Otto Feick, einem Pfälzer Schmied, der sich später in der bayrischen Rhön niederließ – daher der Name. Ob nun Turnen oder Athletik, für mich ist es am ehesten ein Kraftsport, denn das Festhalten geht sofort enorm in die Arme, dabei lässt Schwanengel meine von ihr überwachten Umdrehungen nicht einmal zehn Sekunden dauern. Dazu kommt die Konzentration: An keinem Arm oder Bein darf man an Spannung verlieren, man muss sprichwörtlich alle Viere konstant straff halten.
„Wie bei jedem Sport muss es einfach Spaß machen. Außerdem sollte eine gewisse Grundathletik gegeben sein“, sagt Schwanengel auf die Frage, was es fürs Rhönradturnen braucht. Aber wer nicht deutlich schwergewichtig ist und einigermaßen biegsam und noch dazu eine gewisse Portion Mut besitzt, könne sich in dem Sport versuchen. Schwanengel empfiehlt, mindestens bis zur Einschulung mit dem Training zu warten und dann den Nachwuchs herantasten zu lassen. Der im Übrigen hauptsächlich weiblich ist, wie mir ein Blick in die Halle zeigt. Nach meinen ersten 360 Grad packt mich die Lust auf eine zweite Runde, die ich dann schon selbstständiger angehe. Es gibt verschiedene Übungen und Kürzen, im Leistungsbereich unterscheidet das Reglement zwischen drei grundsätzlichen Disziplinen: Dem Geradeturnen, dem Spiralturnen und dem Sprung. Bei der ersten Disziplin rollt das Rad mit beiden Reifen auf dem Boden und der Turner präsentiert währenddessen seine Übungen, die zum Teil Anleihen beim Reck- und Barrenturnen nehmen.
Bei der Spirale lässt der Turner sein Rad auf dem Boden auf einer bestimmten Höhe „tellern“, wobei die Kunst darin besteht, die Bewegung gleichmäßig, sauber und ästhetisch zu halten. Beim Sprung schließlich wird das Rad zunächst angeschoben, um anschließend daraufund wieder abzuspringen. Paar- und Synchronturnen ergänzen diese Wettkampfdisziplinen, Abwandlungen wie etwa Rhönrad auf Eis dienen nur der Show.
Eines ist mir klar geworden: Ohne intensives Training geht beim Rhönrad nichts, es scheint mir kein Sport der schnellen Erfolgserlebnisse, die ich aber bei einer neuen Sportart bräuchte. Aber gerade für Grundschulkinder sei das Rhönrad gut geeignet, da sie das Gerät spielerisch begreifen, findet Elisabeth Schwanengel.
Mein Persönliches Fazit: Der Ausflug ins Rhönrad war kurzweilig und nachhaltig – der Muskelkater bleibt für ein bis zwei Tage –, bewies mir aber auch, dass ich den filigranen Turnern lieber zuschaue, als es ihnen gleichzutun.
Im Leistungsbereich drei Disziplinen
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Mehr Fotos vom Probetraining unter www.thueringerallgemeine.de