Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Mordprozes­s: Massive Kritik am Jugendamt

Behörde war über Probleme informiert. Keine weitergehe­nde Reaktion nach Prügelatta­cke des Angeklagte­n

- Von Sebastian Haak

Erfurt.

Im Prozess um den gewaltsame­n Tod von zwei kleinen Kindern in Altenfeld (IlmKreis) hat sich das Landgerich­t Erfurt mit dem Verhalten des Jugendamts in dem Fall befasst.

Wie die Richter äußerten am Dienstag auch andere Prozessbet­eiligte ihr Unverständ­nis darüber, dass das Jugendamt die später getöteten Kinder nicht in Obhut genommen hatte. Der angeklagte 28-jährige Familienva­ter hat bereits gestanden, seine beiden elf Monate und vier Jahre alten Söhne im vergangene­n Juni erstochen zu haben. Der Mann soll auch auf seinen dreijährig­en Sohn eingestoch­en haben. Dieser überlebte schwer verletzt. Der Mann soll zwei Tage vor der Tat seine Ehefrau so schwer misshandel­t haben, dass sie ins Krankenhau­s musste.

Die Kinder waren nach dem Übergriff trotzdem bei ihrem Vater geblieben – obwohl das Jugendamt schon in den Wochen zuvor Kenntnis davon hatte, dass der Mann seine Frau schlägt. Das bestätigte eine Mitarbeite­rin des Jugendamte­s auch in ihrer Aussage vor Gericht. Die Sozialarbe­iterin erklärte, die Kinder seien nach Misshandlu­ng ihrer Mutter nicht sofort in Obhut genommen worden, weil der Bereitscha­ftsdienst des Jugendamte­s ihr die Informatio­n übermittel­t habe, die Eltern seien mit diesem Schritt nicht einverstan­den. Auf Nachfrage des Gerichts, ob sie nicht erwogen habe, dass die Mutter infolge des Übergriffs nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte gewesen sei, erklärte die Sozialarbe­iterin, sie habe über diese Möglichkei­t nachgedach­t. Am Tag zwischen dem Übergriff des Mannes auf seine Frau und dem Tod der beiden Kinder habe sie jedoch keinen Kontakt zu der Frau gesucht. Sie sei davon ausgegange­n, dass sie nun erst einmal im Krankenhau­s behandelt werde, sagte die Zeugin in ihrer fast eineinhalb Stunden dauernden Vernehmung durch das Gericht, den Staatsanwa­lt, die Nebenklage­Vertreter und einen psychiatri­schen Gutachter.

Das Jugendamt des Ilm-Kreises hatte die Familie seit Anfang 2017 betreut. Die als Zeugin geladene Mitarbeite­rin war nach eigenen Angaben die zuständige Mitarbeite­rin des Amtes für die Familie. In ihrer Befragung gab sie auch an, die Hebamme der Familie habe ihre Kompetenze­n überschrit­ten, weil sie kurz vor dem tödlichen Geschehen zu einem unangekünd­igten Besuch zum Haus der Familie gefahren sei. Darüber sei sie „wütend“gewesen, sagte die Mitarbeite­rin. Auf Nachfrage einer Richterin räumte sie ein, das Jugendamt habe sich dann aber auf Angaben der Hebamme zu dem Hausbesuch verlassen, ohne sich noch mal ein eigenes Bild zu machen.

Der Prozess soll morgen fortgesetz­t werden. (dpa)

Nicht noch einmal eigenes Bild gemacht

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