Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Debatten beim Filmfestival
Nachfolge von Festival-Chef Kosslick und „MeToo“-Kampagne beschäftigen die morgen startende Berlinale
Berlin.
Die Berlinale wird es in diesem Jahr nicht leicht haben: Es besteht Diskussionsbedarf. Im Herbst hatte ein offener Brief von 79 deutschen Filmschaffenden eine nicht ganz faire Debatte um die künstlerische Qualität des Festivals und die Nachfolge von Berlinale-Chef Dieter Kosslick ausgelöst. Kosslicks Vertrag endet im Mai 2019; er feiert sein vorletztes Festival. Dann kamen die Missbrauchsvorwürfe gegen den Erfolgsregisseur Dieter Wedel – die „MeToo“-Woge, der Kampf gegen sexuelle Übergriffe in der Unterhaltungsbranche hat Deutschland erreicht.
Kosslick, der die Berlinale seit 2001 zu einer wahren Publikumsmaschine mit regelmäßig 350 000 verkauften Karten entwickelt hat, ließ in den letzten Wochen Fragen nach seiner Bilanz und Nachfolge ironisch bis stoisch an sich abperlen. Für „MeToo“hat sich das Festival gerüstet: mit einer Reihe von Veranstaltungen zum Thema, die von der Berlinale mindestens unterstützt werden, und der Einrichtung einer Anlaufstelle für Betroffene. Ohnehin kann das Filmfest auf eine lange, solide Tradition der Antidiskriminierungs-Politik zurückblicken.
Die Sektion Panorama etwa ist eine feste Burg der LGTBQ-Bewegung – und soll es auch bleiben, nachdem der langjährige Panorama-Chef Wieland Speck die Leitung an ein Dreier-Team abgegeben hat. Im Zusammenhang mit älteren Gewaltund Missbrauchsvorwürfen gegen den südkoreanischen Regisseur Kim Ki-duk, dessen neuer Film im Panorama läuft, hat Dieter Kosslick sich programmatisch geäußert: Die Berlinale verurteile „jegliche Gewalt am Set“, man habe sich aber entschieden, nicht in eine „Vorverurteilung“zu gehen. Berichtet wurde allerdings auch, die Berlinale habe Filme unter dem Aspekt der Integrität ihrer Macher abgelehnt – es wird aufregend bleiben.
Während Frauen bei der Vergabe der Goldenen Palme in Cannes notorisch unterbewertet scheinen, ging der Hauptpreis von Berlin zuletzt an den Film einer Regisseurin: „Körper und Seele“von der Ungarin Ildikó Enyedi. In diesem Jahr stammen vier der 19 Beiträge in der Bären-Konkurrenz von Frauen, darunter Malgorzata Szumowska aus Polen und Laura Bispuri aus Italien, die bereits im Wettbewerb vertreten waren. Keine schlechte Gender-Bilanz im internationalen Vergleich.
Deutschland ist wieder einmal stark mit vier Titeln vertreten. Christian Petzold liefert mit „Transit“eine freie Adaption des Romans von Anna Seghers, der von der Flucht eines Mannes durch das von den Nazis überrannte Europa erzählt; Emily Atef hat sich mit „3 Tage in Quiberon“eine Episode aus dem Leben der Schauspielerin Romy Schneider – gespielt von Marie Bäumer – vorgenommen. Dazu kommen Thomas Stubers Liebesgeschichte „In den Gängen“und „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“von Philip Gröning.
Der deutsche Regisseur Tom Tykwer sitzt einem sechsköpfigen JuryTeam vor, in dem nur die belgische Schauspielerin Cécile de France und der japanische Komponist Ry ichi Sakamoto einem größeren Publikum bekannt sein dürften.