Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Vom herzoglich­en Lustschlos­s zum Pionierfer­ienlager

Viele Thüringer haben an Schloss Wilhelmsth­al ihre eigenen Erinnerung­en

- Von Jürgen Valdeig JürgenVald­eig ist Kunstmaler und gehört zur Seniorenre­daktion der TA.

„Wie bei Reinhardsb­runn treten wir hier in einen großen, von fürstliche­r Liebe gepflegten Naturpark, eine Colonie von kleinen netten Schlößchen auf die Thalwiese hingestreu­t . . .“– so beschreibt Ludwig Storch 1841 Schloss Wilhelmsth­al, südlich von Eisenach gelegen.

Vom französisc­hen Vorbild inspiriert, ließ Herzog Johann Wilhelm um 1700 die Felsenstra­ße, die heutige B19, über die „Hohe Sonne“zum damaligen Dorf Wintershau­sen ausbauen, um sich ab 1710 am „Neuen Jagdhaus“ein ansehnlich­es Jagd- und Lustschlos­s errichten zu lassen. Es entstand ein attraktive­s Bauensembl­e und der Eltebach wurde zum Wilhelmsth­aler See angestaut, über den sich terrassenf­örmige Gartenanla­gen zum Schloss hin erhoben. Auf dem sieben Hektar großen See ankerte sogar eine venezianis­che Lustjacht und Gondeln!

1741 ließ dann der Weimarer Herzog Ernst August nach dem Tod von Johann Wilhelm die Bauten erneuern und verändern, sodass sich das Weimarer Herrscherh­aus in Wilhelmsth­al wohnlich einrichtet­e. Goethe weilte hier mehrfach und interessie­rte sich für den im englischen Stil entstehend­en Landschaft­spark. Die jetzige Gestaltung des Schlosspar­ks verdanken wir den Plänen von Hermann Fürst von PücklerMus­kau im 19. Jahrhunder­t. Um 1900 entstand der obere Verbindung­sgang über der Säulenhall­e des Schlosses und nach dem Ersten Weltkrieg setzte der teilweise Verfall der Anlage ein, bedingt durch mehrfache Nutzung und Umbauten.

Der 1936 abgerissen­e, nahe am Schloss gelegene, Gasthof „Zum Auerhahn“war einst das Ziel der Wanderpart­ien vieler Eisenacher und Ruhlaer Ausflügler. Ab 1947 fanden in der Schlossanl­age im ersten Kinderdorf unzählige Kriegswais­en eine neue Heimat.

Zu DDR-Zeiten wurden einige Bau- und Restaurier­ungsarbeit­en am barocken Schlosskom­plex vorgenomme­n, doch durch die Übernahme der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten 2009 erfolgt eine schrittwei­se Rettung und Instandset­zung mit erhebliche­m finanziell­en Aufwand.

Der Förderkrei­s Schlossanl­age Wilhelmsth­al e.V. organisier­t von Mai bis Oktober Veranstalt­ungen unterschie­dlichster Genres in Wilhelmsth­al. Schwerpunk­t ist der barocke Telemannsa­al mit seinem besonderen Ambiente.

Oberhalb des Schlosses befand sich ab 1951 das Pionierlag­er „Maxim Gorki“, das ich in den Sommerferi­en 1962 besuchte. Auch westdeutsc­he Jugendlich­e verlebten hier ihre Ferien, doch waren sie getrennt untergebra­cht, es bestand wenig Kontakt. Ein Jahr nach dem Mauerbau lief der Kalte Krieg auf Hochtouren und regelmäßig schwebten von der nahen Grenze Ballons mit der „Mitteldeut­schen Arbeiterze­itung“heran, die wir natürlich aufsammeln und sofort abzugeben hatten. Noch gut in Erinnerung: der Besuch bei einer Kampfgefäh­rtin von Clara Zetkin, die neben dem Schloss wohnte.

Nicht zu überhören waren dabei die fast im Minutentak­t über Wilhelmsth­al fliegenden Propellerm­aschinen von Panam und Air France, die im Alliierten Luftkorrid­or brummend von Frankfurt am Main nach BerlinTemp­elhof flogen.

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Schloss Wilhelmsth­al bei Eisenach. Aquarell: Jürgen Valdeig
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