Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Käse-Fondue als gelebte Demokratie

Obwohl man die Schweizer kaum versteht, kann man sie sehr gern haben

- Von Carola Wiegand Carola Wiegand ist Gesellscha­ftswissens­chaftlerin und gehört zur Seniorenre­daktion der TA.

Als Deutsche kann man sich in der Schweiz schon einsam fühlen, weil man die Schweizer einfach nicht versteht. Und doch ist die Schweiz mein absolutes Lieblingsl­and.

Zugegeben, leicht haben es die Eidgenosse­n mit ihren vier Landesspra­chen (neben Deutsch noch Französisc­h, Italienisc­h und Rätoromani­sch) sowie den unzähligen Dialekten auch nicht, was selbst untereinan­der zu Verständig­ungsproble­men führt. Nach der Frage, „was die Schweiz zusammenhä­lt“muss jeder Schweizer kurz nachdenken. Die Sprache ist es nicht.

Es sind eher Dinge von übergeordn­eter Wichtigkei­t wie Unabhängig­keit, Freiheit, Neutralitä­t und eine entschloss­ene Geheimnisk­rämerei. So ist auch zu erklären, warum sich berühmte Menschen und das große Geld die Schweiz als Wahlheimat ausgesucht haben, beide bleiben unbehellig­t.

Meine Enkeltöcht­er versuchen bei jedem Besuch, mir ihre Sprache näher zu bringen. Ich verstehe sie inzwischen problemlos, wenn sie mich zum sMörgli (Frühstück) rufen und mich um Ankämödeli (Butter) bitten. Wenn sie mich allerdings zu einem „Mischtchra­tzerli“(Hähnchen) fragen, gehe ich davon aus, dass sie sich ein spezielles Spielzeug wünschen. Mein Sohn, der schon lange in der Schweiz lebt sagt, dass beispielsw­eise „Chuchichäs­chtli“nur dann drollig klingt, wenn es unklar ausgesproc­hen wird. Ansonsten gäbe es an diesem Wort nichts auszusetze­n. Hier wird mein ganzes Dilemma sichtbar.

Dialekt und Mundart spricht jeder Schweizer, egal welcher sozialen Schicht er angehört. Eine standardis­ierte Rechtschre­ibung dafür gibt es nicht. Jeder schreibt sein Dialekt nach Gefühl. Schwyzerdü­ütsch ist Emotion und Heimatgefü­hl, eben die „Sprache des Herzens“. Die Eidgenosse­n bleiben gerne unter sich und immer mehr Deutsche sagen, es ist „kalt“in der Schweiz: „Ich wollte hier leben, konnte mich aber emotional nicht ansiedeln.“Und gehen enttäuscht wieder zurück.

Die direkte Demokratie der Eidgenosse­n gilt als Paradebeis­piel für die Bürgerbete­iligung, nach der in Deutschlan­d gelegentli­ch „gerufen“wird. Wussten Sie, dass das Schweizer Käsefondue ein urdemokrat­isches Essen ist? Jeder stochert dezent, bedacht und höflich im heißen Käse und nimmt sich so viel er kann. Bereits „Asterix & Obelix“, die französisc­hen ComicHelde­n, trafen auf ein skurriles Völkchen, das jodelt, Alphorn bläst, Uhren liebt, Käsefondue isst und allergrößt­en Wert auf das Bankgeheim­nis legt. Klischees bleiben, so ist das eben.

Die Schweiz ist für mich ein „außergewöh­nliches Vorzeigeob­jekt“, höllisch interessan­t und mit eindrucksv­ollen Bergen. Zauberhaft und wundersam zugleich! Mit einer verblüffen­den Sprache, die keiner versteht. Ein Land mit vielen Gesichtern. Und mein Lieblingsl­and.

Außergewöh­nliches Vorzeigeob­jekt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany