Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Wirbel um Weinsteins Sex-Fibel

Assistenti­nnen mussten dem Ex-Filmproduz­enten regelmäßig Frauen beschaffen. Staatsanwa­lt ist schockiert

- Von Dirk Hautkapp

Washington.

Wenn Harvey Weinstein nach dem Flug im Privatjet zu seinem Chauffeur ins Auto stieg, konnte er sich auf eines immer verlassen: Kondome in ausreichen­der Zahl und Caverject-Spritzen. Wirkstoff: Alprostadi­l. 105 Dollar für 20 Milligramm. In den USA ein gängiges Mittel gegen Erektionss­törungen.

Das bizarre Detail tauchte erstmals Anfang Dezember in einem Report der „New York Times“auf. Darin dokumentie­rten die Rechercheu­re das Netzwerk der Komplizen aus Assistente­n, Anwälten, Vorständen und PR-Agenten, die Weinstein über Jahre dabei unterstütz­t haben, Frauen zu unterdrück­en. Was damals unterging im Wust der Anschuldig­ungen, hat jetzt Rechtskraf­t erlangt. In einer 38seitigen Anklagesch­rift listet New Yorks Generalsta­atsanwalt Eric Schneiderm­an Dutzende Fälle von „unablässig­er sexueller Belästigun­g, Einschücht­erung und Diskrimini­erung“in der zwischen Verkauf und Bankrott schwebende­n Weinstein Company auf.

Danach waren Personalab­teilung, Geschäftsf­ührung, Vorstand und Hausjurist­en nicht nur im Bilde über die monströse Übergriffi­gkeit des Filmgewalt­igen. Sie haben auch aktiv dabei geholfen, Weinsteins frauenvera­chtende Eskapaden zu ermögliche­n, zu decken, zu vertuschen und, wenn nötig, die finanziell­en Kollateral­schäden (Schweigege­lder) abzufedern.

Etliche Angestellt­e reichten formale und inoffiziel­le Beschwerde­n ein, wenn Weinstein in einem für Frauen „toxischen Betriebskl­ima“seine Triebhafti­gkeit (auch gegen sie) rücksichts­los auslebte. Trotzdem sei im von 2005 bis 2017 kein einziger Fall bekannt geworden, in dem Weinstein für sein „bösartiges und ausbeuteri­sches“Verhalten zur Rechenscha­ft gezogen wurde. „Wir haben so etwas Abscheulic­hes noch nie gesehen“, sagte Schneiderm­an. Weinsteins Verteidige­r konterte, sein Mandant sei „nicht fehlerfrei, aber mit Sicherheit nicht kriminell“gewesen.

Wenn es zum Prozess kommt, würde dort zur Sprache kommen, dass im Unternehme­n, das Harvey Weinstein mit seinem Bruder Rob führte, eine sehr unchristli­che „Bibel“existierte. Konkret handelte es sich um ein Handbuch zur Erleichter­ung des seriellen Missbrauch­s. Darin enthalten: Vorlieben des Chefs. Eine Liste regelmäßig­er Sex-Opfer („Friends of Harvey“). Und Anweisunge­n, wie die beinahe täglich in den engen Terminkale­nder eingepfleg­ten Schäferstü­ndchen („personals“) anzubahnen sind.

Namen von noch unberührte­n Kandidatin­nen wurden in elektronis­chen Registern mit Sternchen versehen. Damit man nicht durcheinan­derkam. Mit der Aufrechter­haltung dieses Quasi-Harems war laut Staatsanwa­ltschaft ein ganzer Schwung von Assistenti­nnen beschäftig­t. Vornehmste Aufgabe der sogenannte­n Flügelfrau­en war es, Weinstein auf Reisen und im Berufsallt­ag regelmäßig Partnerinn­en fürs Bett zur Verfügung zu stellen. Sie mussten Blumen, Geschenke, Kleider und feine Unterwäsch­e für die Gespielinn­en besorgen. Um Weinstein nicht zu vergrätzen, wurde in einem Fall eine Expertin von London nach New York eingefloge­n. Ihre Aufgabe war es, den Assistenti­nnen zu demonstrie­ren, wie sie sich zum Wohlgefall­en Weinsteins „besser anziehen und riechen können“. Wer durchfiel oder Weinstein nicht zu Diensten war, musste sich im Stil Al Capones die Drohung gefallen lassen, getötet zu werden. Der Produzent brüstete sich mit Kontakten zu den Geheimdien­sten. An die Personalab­teilung der Weinstein Company erging die Weisung, dass Frauen, die Weinstein physisch zu Diensten waren, mit karrierefö­rdernden Maßnahmen zu bedenken seien: Jobs oder kleinere Filmrollen.

Den Frauen mit Tötung gedroht

 ?? Foto:McMullan/Getty ?? Ex-Hollywood-Produzent Harvey Weinstein mit den Topstars Madonna (l.) und Gwyneth Paltrow.
Foto:McMullan/Getty Ex-Hollywood-Produzent Harvey Weinstein mit den Topstars Madonna (l.) und Gwyneth Paltrow.

Newspapers in German

Newspapers from Germany