Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Beflügelt durch die Fahne
Kombinierer Eric Frenzel versteht es perfekt, zum Höhepunkt in Bestform zu sein – und wird erneut Olympiasieger
Technikbegeistert sind sie hier, lassen Roboter über Skipisten fahren. Oder einfach so über Flure. Welchen genauen Zweck Letztere erfüllen, ist schwer zu erkennen. Man möchte meinen, es seien Staubsauger, aber dazu ist der Bewegungsradius zu gering. Immerhin spielen sie Musik und projizieren Bilder auf den Fußboden.
Aus uns haben die Koreaner auch schon Roboter gemacht. In den ersten Tagen in Pyeongchang stellten die Gastgeber sich überall in den Weg, wenn man irgendwo hinkam, wo viele Menschen die gleichen Dinge benutzen. In der Hand eine Flasche Desinfektionsmittel. Jeder wurde besprüht, ob er wollte oder nicht. Widerstand zwecklos. Inzwischen wartet niemand mehr mit einer Flasche auf uns, die steht jetzt einfach nur da.
Die sonst emsigen Sprüher sitzen in einigem Abstand daneben. Und beobachten, wie alle diese Olympiagäste brav und ohne Aufforderung automatisch die Flaschen ansteuern und sich selbst die Hände absprühen. Die Koreaner haben uns genau da, wo sie uns haben wollen.
Dahinter steckt jedoch eine gute Absicht. Sie versuchen, uns schützen. Seit Beginn der Spiele geht der Norovirus um in Pyeongchang, 200 Fälle wurden bereits registriert. Fast täglich kommen neue dazu. Da desinfiziert man doch gern. Oder lässt die Zimmer mit Chlorbleiche reinigen. Hier riecht es mancherorts, als stünde man am olympischen Schwimmbecken. Tipps zum richtigen Niesen (immer den ganzen Arm vor die Nase halten) und Händewaschen (mindestens 30 Sekunden unter fließendem Wasser und mit Seife) hängen auch überall rum. Sogar in jedem Fahrstuhl.
Was tut man nicht alles, um gesund zu bleiben. Dafür lässt man sich sogar ein bisschen dressieren.
Pyeongchang.
Wer Eric Frenzel nur ein bisschen kennt, der merkt schnell: Der Mann aus dem Erzgebirge ist alles andere als ein Sprücheklopfer. Und so hielt er sich bei aller Zuversicht auch zurück, als es um das vermeintlich gute Omen ging, dass die Rolle des deutschen Fahnenträgers bei der Eröffnungsfeier mit sich bringen würde. Vor vier Jahren in Sotschi hatte AlpinStar Maria Höfl-Riesch die Mannschaft ins Stadion geführt und anschließend ihren Olympiasieg von 2010 in der SuperKombination wiederholt.
Frenzel verzichtete, wie gewohnt, auf große Worte. Stattdessen ließ der Nordische Kombinierer am Mittwochabend Taten sprechen und tat es HöflRiesch in beeindruckender Manier gleich. Nach dem Springen von der Normalschanze war er als Fünfter auf die 10-kmLanglaufstrecke gegangen. Dort konnte ihn dann nichts und niemand mehr halten. Nach knapp einem Drittel der Distanz hatte er bereits die Führung übernommen, das Tempo diktiert und mit einem unwiderstehlichen Antritt am letzten Anstieg die hartnäckigsten Verfolger abgeschüttelt. Am Ende erlebte der 29-Jährige seine nächste Sternstunde und verwies den Japaner Akito Watabe sowie Lukas Klapfer aus Österreich auf die Plätze. „Ich habe nie den Glauben an mich verloren. Mir gelang es ja schon öfter, auf den Punkt topfit zu sein“, erklärte Frenzel. Und genau das ist es, was das Phänomen Frenzel ausmacht. Kaum jemand versteht es so gut, zum Saisonhöhepunkt in Topform zu sein. Vierfach-Weltmeisters Johannes Rydzek hatte indes wie Vinzenz Geiger und Fabian Rießle Pech beim Springen. Sie erwischten die Phasen zwischen wechselnden Winden, die keine großen Weiten zuließen.
Selbst eine famose Aufholjagd in der Loipe reichte Rydzek nicht, um in den Medaillenkampf eingreifen zu können. Der Oberstdorfer verkürzte den Rückstand von 1:26 Minuten zwischenzeitlich zwar auf neun Sekunden. Dann aber zog die Spitzengruppe das Tempo wieder an. Rydzek wurde am Ende Fünfter; Rießle stürmte von Rang 16 auf sieben. Geiger landete auf dem neunten Platz.
„Es war halt Lotterie. Letztendlich hat der Wind entschieden, wer die Möglichkeit hat, eine Medaille zu gewinnen oder nicht“, resümierte Bundestrainer Hermann Weinbuch. Auch Frenzel gab zu: „Sicher war etwas Windglück dabei. Ich hatte einen optimalen Sprung.“36 Sekunden hinter der Spitze seien eine „perfekte Ausgangsposition“gewesen. Mit Watabe und Klapfer „sammelte“er die beiden Sprungbesten schnell ein und marschierte dann vorneweg – bis ins Ziel. Dort prasselte Lob von allen Seiten auf ihn ein. Rydzek meinte: „Eric ist ein ganz Großer. Wie er da am letzten Anstieg attackiert hat, das ist sensationell.“Und Weinbuch erklärte voller Bewunderung: „Er ist kein normaler Mensch.“
Aufholjagd von Rydzek wird nicht belohnt
Familie gibt ihm immer wieder neue Kraft
Dabei lief es in diesem Winter alles andere als rund. Vor allem mit seinen Sprüngen haderte der kleine Große. Beharrlich suchte er nach den Ursachen und fand sie im neuen Bindungssystem. Der sogenannte Anstellwinkel seines Fußes gegenüber dem Ski war darin nicht optimal. Hinzu kamen Probleme mit der Oberschenkel-Muskulatur, die ihn in der Anfahrtshocke behinderten. Die Behandlung bei einem Spezialisten in Potsdam zahlte sich aus. Frenzel kramte zudem die alte Bindung wieder hervor und hatte sofort ein besseres Gefühl.
Seine bemerkenswerte Gelassenheit hat ganz sicher auch mit seinem Familienglück zu tun. Frenzel ist dreifacher Vater und findet im Kreise seiner Liebsten die nötige Erholung zwischen dem Wettkampfstress. Am Montag sind seine Ehefrau Laura und sein ältester Sohn Philipp in Südkorea angekommen – ihre Unterstützung an der Strecke war ihm gewiss. „Meine Familie“, sagte Frenzel, „ist mir das Wichtigste.“Sie hätte ihn in dieser Saison oft entbehren müssen; gerade in den Phasen, in denen es hakte. „Doch ich habe immer ihre Rückendeckung gespürt. Das gab mir Kraft.“Am späten Abend konnte er seine Frau und seinen Sohn dann endlich die Arme nehmen.
Seine schönste Belohnung – neben Gold.