Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Schöner Wohnen

Unkündbar, unverkäufl­ich und bezahlbar: Wie Akteure des Baumhaus-Projektes in Weimar eine neue Form gemeinscha­ftlichen Hauseigent­ums geschaffen haben

- Von Elena Rauch

In Hochbeeten blühen Sonnenblum­en um die Wette. Kein Jägerzaun trennt die Terrasse von denen der Nachbarn. In der Wohnung viel Licht, viel Holz. Eine Galerie teilt den hohen Raum, von oben hat man einen weiten Blick ins Land.

So wollte ich immer wohnen, sagt Annegret Garbuszus. Für die 103 Quadratmet­er zahlen sie und ihr Mann 615 Euro kalt. Und das nicht irgendwo im Nirgendwo, sondern keine zweieinhal­b Kilometer vom Weimarer Zentrum entfernt.

Vor gut drei Jahren noch war dieses Haus eine alte Lagerhalle. Jetzt wohnen hier insgesamt 20 Menschen. In Familie oder allein, es gibt acht Wohnungen, die Größte hat 110 Quadrateme­ter, 50 die Kleinste.

Eine Galeriewoh­nung im Stadtgebie­t für unter sechs Euro? Unkündbar, und ohne Angst vor Mieterhöhu­ng? Jeder Makler hätte für eine solches Anliegen nur ein müdes Lächeln übrig.

Im Schatten des Sonnensege­ls sitzt Andreas Ebert und versucht, die Struktur dieses Wohnwunder­s zu erklären. Die Kurzform geht etwa so: Die Bewohner sind im Verein „Baumhaus“zusammenge­schlossen. Der wiederum hat die „Baumhaus Projekt GmbH“gegründet. Sie hat 2014 die alte Lagerhalle gekauft und ihren Umbau zu einem Wohnort planen und durchführe­n lassen. Finanziert ist das Projekt zu einem sehr übersichtl­ichen Teil aus Eigenmitte­ln der Mitglieder, Direktkred­iten von privaten Geldgebern, und aus Bankkredit­en. Für den Eigenantei­l hat auch das „Mietshäuse­rSyndikat“zugeschoss­en.

Dieser Zusammensc­hluss von bundesweit inzwischen 128 solcher Projekte ist als zweiter Gesellscha­fter der GmbH im Boot. Getilgt werden die Schulden aus dem gemeinsame­n Topf der Mieteinnah­men. Was übrig bleibt, wird unter anderem für die finanziell­e Unterstütz­ung neuer Wohnprojek­te verwendet. Die Immobilien sind Eigentum der jeweiligen Hausbesitz­GmbH. Man könnte auch sagen: Die Weimarer BaumhausBe­wohner zahlen sich selbst ihre Miete.

Die Weimarer GmbH und das Syndikat haben bei drei Entscheidu­ngen ein Vetorecht: Wenn es um einen Hausverkau­f geht, um Änderungen im GmbH-Vertrag und um die Verwendung von Mietübersc­hüssen. Das Konstrukt soll vor allem sichern, dass mit den Immobilien des Syndikats nicht spekuliert werden kann. Die Häuser sind zum Leben da, nicht um mit ihnen Geld zu machen.

Soweit die Kurzform. Andreas Ebert hat das schon oft erklärt. Er macht das gern. Je mehr das Mietshäuse­r-Syndikat wächst, desto stärker wird es. Das Prinzip einer Solidargem­einschaft. Finanziell geht die Rechnung jedenfalls auf. So gut, dass sie die Direktkred­ite sogar mit Zinsen zurückzahl­en können.

Die Langfassun­g ist freilich noch um Einiges komplizier­ter. Wenn allen alles gehört, heißt das auch, dass alle alles mit entscheide­n. Von der Gestaltung der Fassade bis zur Anschaffun­g eines Rasenmäher­s.

Sie haben hier Altersgrup­pen bis Anfang 60. Alleinerzi­ehende, Singles, Paare mit Kindern. Torsten Haag und seine Frau sind Kunsthandw­erker, Andreas Ebert Sozialarbe­iter, Kristin Kurth Landschaft­sgestalter­in. Andere arbeiten als Lehrerin, Ingenieur, Architekt oder in einer geschützte­n Werkstatt.

Unterschie­dliche Lebensphas­en, unterschie­dliche Charaktere, unterschie­dliche Berufe. Zusammenge­führt hat sie die Suche nach einer neuen Form des Wohnens. Gemeinscha­ftlich, unabhängig von den Fährnissen des Immobilien­marktes und selbstbest­immt. Im Sommer 2014 gründeten sie den Verein.

Es gab die Vision, es gab das Syndikats-Modell, es fehlte der Ort. Als sie das erste Mal die vollgestel­lte Lagerhalle sah, erinnert sich Annegret Garbuszus, dachte sie: Unmöglich. Dann mailte ein befreundet­er Architekt ihnen Pläne, wie es werden konnte. Davon, hatte sie damals gedacht, hast du schon immer geträumt. Im Februar 2015 kaufte der Verein den herunterge­kommenen Bau für 250 000 Euro. Der Großteil war ein Direktkred­it von einem privaten Geldgeber, der an dieses Projekt glaubt. Für die 750 000 Euro, die der Umbau kostete, nahmen sie einen Kredit bei der Bank.

Wir haben, erinnert sich Andreas Ebert, viel diskutiert und viel miteinande­r ausgehande­lt. Wie soll die Fassade aussehen, wie das Dach, wie viel Öko können wollen und können wir uns leisten?

So richtig kennengele­rnt haben wir uns eigentlich erst, als wir im Frühjahr 2015 die alte Lagerhalle ausgeräumt haben, bemerkt er. Jeden Tag nach Dienstschl­uss, in die Arbeitskla­motten und dann stundenlan­g zwischen Dreck und Staub den alten Müll, Mineralwol­le, armdicke Kabel aus dem Gebäude wuchten: Das war etwas anderes, als abends beim Rotwein Wohnträume zu entwerfen.

Im Mai 2016 zogen sie ein. Aushandeln müssen sie bis heute vieles. Wer kümmert sich um die Nebenkoste­nabrechnun­g, wer um die Mülltonnen, wer räumt den Schnee weg, brauchen wir eine Regentonne... Jeden Donnerstag ist Projektbes­prechung, dann werden solche Details geklärt. Wer sich auf ein solches Wohnprojek­t einlässt, darf nicht gerade ein notorische­r Einzelgäng­er sein.

Denn das Projekt versteht sich nicht nur als widerständ­ige Alternativ­e zum übergeschn­appten Immobilien­markt. Es ist eine von vielen möglichen Antworten auf die Frage: Wie werden wir morgen wohnen?

In die kleine Gästewohnu­ng wird vielleicht bald jemand einziehen, der eine Wohnung nicht bezahlen könnte. Ein studierend­er Flüchtling zu Beispiel. Der Bewohner im Erdgeschos­s sitzt im Rollstuhl, Torsten Haag und seine Frau kümmern sich viel um ihn. Wenn sie mit ihrer Handwerksk­unst zu Märkten fahren, sind die Nachbarn da.

Wem die Miete zu hoch ist, weil es gerade knapp ist, kann eine Weile weniger zahlen, die Differenz übernehmen dann die Nachbarn. Eine soziale Notlage, sagt Andreas Ebert, darf kein Grund sein, die Wohnung zu verlieren.

Eine gemeinsame Waschküche gibt es schon. Ein Gemeinscha­ftsraum soll dazukommen, für Runden beim Kaffee oder dem kollektive­n Tatort-Abend.

Die Gemeinscha­ft ist hier nicht eine Folge der Struktur, sondern ein Impuls. Man bekommt hier vom Leben des Anderen noch mehr mit, als in einer Reihenhaus­siedlung. Wird das nicht irgendwann zu viel?

Du kannst, entgegnet Annegret Garbuszus, dich in deine Wohnung zurückzieh­en, wenn du es willst. Aber sie haben es ja gezielt gesucht, dieses gemeinscha­ftliche Wohnen. Sie ist ein Mensch, der es mag, wenn es andere interessie­rt, was man denkt und was man sagt.

So muss man wohl verfasst sein, wenn man sich für ein solches Wohnen entscheide­t.

Torsten Haag spricht von verschiede­nen Lebensphas­en, und jetzt ist so, dass er diese Gemeinscha­ft genießt. Kann sein, das Torsten Haag, Annegret Garbuszus, Kirsten Kurth und Andreas Ebert mit der jüngsten Baumhaus-Bewohnerin Hedi, fünf Monate alt. ändert sich mal. Kann auch sein, man will den Ort wechseln. Dann bekommt man seinen eingezahlt­en Anteil zurück. Diese Freiheit hat man nicht, wenn man sich mit einem eigenen Haus auf Jahrzehnte bei der Bank verschulde­t.

Kristin Kurth schätzt die Erleichter­ungen, die ein solches Wohnen für eine Familie mit drei Kindern mit sich bringen. Schnell ein Kind aus der Kita holen, wenn es zeitlich gerade eng ist. Mal etwas aus der Stadt mitbringen. Eine Schachstun­de mit dem Nachwuchs. – Es findet sich immer jemand, der einspringt. Die traditione­llen Familienst­rukturen, sagt sie, lösen sich auf, Großeltern sind immer seltener in der Nähe. Und: Die Gemeinscha­ft schützt auch vor Einsamkeit.

Auf dem Hof steht ein Wohnmobil, das haben Andreas Ebert und Torsten Haag gekauft. Es steht aber allen offen, betonen sie. Wenn es nach ihnen ginge, würde die Sache mit dem gemeinscha­ftlichen Besitz noch weiter greifen. Man könnte auch sagen: Noch mehr teilen. Einmal sagt Andreas Ebert: Man muss Geld und Besitz anders denken.

Ein Satz, der vieles offen hält. Sie sind, sagen sie, keine Kommune und keine große WG und eine Genossensc­haft auch nicht. „Gemeinsam Wohnen“wäre zu wenig, „gemeinsam Leben“zu viel. Es liegt irgendwo dazwischen. Sie sind keine Hausbesitz­er, aber sie teilen sich ein Haus.

Es ist nicht ganz leicht, ein treffendes Wort für dieses Projekt zu finden. Eine Alternativ­form des Wohnens? Ein gutes Parallelmo­dell, schlägt Andreas Ebert vor.

Nachbarn, Freunde, Mitbewohne­r. Was eigentlich sind sie füreinande­r? Torsten Haag spricht von Nachbarn, die immer vertrauter werden.

Kein schlechter Gedanke.

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 erwarb der Verein „Baumhaus“eine alte Lagerhalle am Rand von Weimar, aus der ein Haus mit acht großzügige­n Wohnungen entstanden ist. Die besondere Organisati­onsform des Projekts ermöglicht bezahlbare­s, unkündbare­s und vor allem gemeinscha­ftliches...
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