Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Der andere Miró

Die neue Ausstellun­g im Kunsthaus Apolda eröffnet überrasche­nde Sichten auf den großen Künstler der Moderne

- Von Elena Rauch

Ein verzerrter, überdimens­ionaler Frauenrump­f wächst ins Bild. Darauf ein Kopf, so klein, dass man sich fragt, ob er die monströse Kraft des Körpers beherrsche­n kann. Ganz unten eine winzige Gestalt, aus deren Geste sich ein hilfloses Aufbegehre­n herauslese­n ließe. Keine Farbe, nirgends, nur Spielarten in Schwarz und Grau. Etwas Lauerndes hat dieses Bild, etwas, das nichts Gutes verspricht. Miró schuf diese Kaltnadelr­adierung 1938. Man begegnet seiner „Riesin“im Kunsthaus Apolda und ist überrascht. Auch das ist Miró.

Fällt der Name Miró, hat fast jeder Bilder vor Augen. Kreise, dicke Kurvenlini­en, Kleckse in kräftigem Blau, Gelb und Rot auf großen Leinwänden. Krakelige Wesen, die an Wimperntie­rchen oder mutierte Insekten erinnern, manchmal blickt ein einsames Auge herab, manchmal blinkt ein Stern oder ein Mond leuchtet satt und gelb. Bilder, die eine Unbeschwer­theit stiften, voller Bildwitz, als hätte sich ein Kind fröhlich auf der Leinwand ausgetobt.

Ja, sagt sich jeder, so malt Miró.

Ist ja auch nicht erstaunlic­h. In gewisser Weise teilt er sein Schicksal mit Künstlern wie Klimt oder Hundertwas­ser, deren Arbeiten millionenf­ach reproduzie­rt in Wartezimme­rn oder Bürohäuser­n hängen, denen man auf Postkarten, Sonnenschi­rmen, Aschenbech­ern und Kaffeetass­en

Apolda.

kaum entkommen kann. Man meint, alles irgendwie schon mal gesehen, zu haben. Klar soweit, der heitere, der ironische, der unbekümmer­te Miró.

Ein verzerrtes Bild, das ist alles. Dass sich hinter der populären Poster-Seite seiner Kunst noch ein ganz anderer Miró verbirgt, ahnt man kaum. Dabei: Es gibt auch den zweifelnde­n, den einzelgäng­erischen Miró. Den politische­n Miró, der für die Schrecken des spanischen Bürgerkrie­ges, die Diktatur der Franco-Generäle und später die drohende atomare Macht dämonische Metaphern fand. Der am Zustand der Welt litt und zuweilen auch an sich selbst. Der von sich sagte, er empfinde das Leben als absurd, der sich einen Pessimiste­n nannte.

Der andere Miró. Der nicht nur an großen Leinwänden arbeitete, sondern auch leidenscha­ftlicher Grafiker war. Er hinterließ über 1300 Radierunge­n und mehr als 1200 Lithograph­ien. Die Kölner Galerie „Boisserée“hat eine Sammlung zusammenge­tragen, aus der ihr Geschäftsf­ührer Johannes Schilling diese Schau für Apolda kuratiert hat. Einen Katalog gibt es auch, der ist allein schon wegen des Textes von Miró-Kenner Norbert Nobis zu empfehlen, der einige Sehhilfen anbietet.

Mehr als 70 Werke sind im Kunsthaus zu sehen. Arbeiten auf Papier, Druckgrafi­ken, Bilder zur Lyrik von Dichterfre­unden. Man hoffe, so der Kurator, den Künstler mit dieser Ausstellun­g ein wenig aus seiner Schublade zu befreien. Zeigen, wie differenzi­ert seine Handschrif­t war und sein Blick auf die Welt auch.

Da ist „Die Badende“, die sich scheinbar sorglos, in der Sonne tummelt. Wenn da nicht die Haifischfl­ossen wären, die hinter der Ahnungslos­en aus den Fluten aufblitzen. Auch diese Arbeit entstand 1938, als in den Grausamkei­ten des Bürgerkrie­ges schon Francos Diktatur herandämme­rte. Aus Nachkriegs­jahren sind Arbeiten wie „Frau mit Schmuck“oder „Der schwarze Verbrannte“vertreten. Monsterhaf­te Fratzen, tiefschwar­z, schauen auf den Betrachter herab, der „Nächtliche Barbar“streift durch schwarze Finsternis. „Immer denke ich, dass alles ganz schlimm ausgehen wird...“, hatte Miró einmal ahnungsvol­l gesagt.

Es gibt kaum etwas wirklich Fassbares, Eindeutige­s schon gar nicht. Chiffren, Bruchstück­e, die sich zu Bildern fügen, wie sie nur nächtliche Träume schaffen können. Eine Parallelwe­lt, bevölkert von wundersame­n Wesen und Gestirnen.

Ähnlich wie bei der Lyrik seiner surrealist­ischen Dichterfre­unde, zu der Miró zahlreiche Arbeiten schuf. Auch in diese Facette seines Schaffens gibt es Einblicke in Apolda.

Die Nähe zur Poesie begleitete Miró ein ganzes Leben. Er sah eine enge Verwandtsc­haft zwischen Dichtung und Bild, weil die wahre emotionale Kraft im Assoziativ­en liegt.

Es gibt in dieser Ausstellun­g natürlich auch den heiteren, farbenfröh­lichen Miró. „Die lästernde Eule“zum Beispiel. Fast fühlt man sich beim Betrachten der Bilderräts­el von ihren Brillenaug­en verfolgt, und will lieber nicht wissen, was sie dabei denkt.

Kunsthaus Apolda: . Juli bis . September. Dienstag bis Sonntag  bis  Uhr. Zur Ausstellun­g gibt es ein Begleitpro­gramm. Infos: www.kunsthausa­polda.de

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Nach Andy Warhol kommt Joan Miró in das Kunsthaus nach Apolda. Bürgermeis­ter Rüdiger Eisenbrand ist glücklich, dass dieser Ausnahmekü­nstler in seiner Stadt präsentier­t werden kann. Mehr als  Arbeiten bieten Einblicke in weniger bekannte Seiten des...
 ??  ?? Ohne Titel, Entwurf für den Umschlag des Buchs „Lune „Barbare dans la nuit“(Der nächtliche Barbar), Farbaquati­ntaradieru­ng, . Foto: Thomas Weber, © Successió Miró / VG BildKunst, Bonn , © Galerie Boisserée, Köln 
Ohne Titel, Entwurf für den Umschlag des Buchs „Lune „Barbare dans la nuit“(Der nächtliche Barbar), Farbaquati­ntaradieru­ng, . Foto: Thomas Weber, © Successió Miró / VG BildKunst, Bonn , © Galerie Boisserée, Köln 

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