Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Gewitterziege & Sündenbock
Der Schaf- und Ziegenzuchtverein Kölleda bewahrt mit seinen teils vom Aussterben bedrohten Tieren ein oft verkanntes Kulturgut
Beichlingen.
Sie meckert. Und sie hat allen Grund dazu. Ausgerechnet einen der engen Gefährten seiner Menschwerdung erwähnt der Homo sapiens sapiens überwiegend abfällig.
Seine Sesshaftwerdung und ihre vor mehreren tausend Jahren begonnene Domestizierung sind untrennbar verbunden.
Und doch heißt es: Auf dem Rücken der Pferde; des Menschen bester Freund; der Goldesel; das Glücksschwein – aber die dumme Ziege ...
Ungerecht, diese negative Konnotation. Erst recht in der rein weiblichen Fassung, fassbar in dem Begriff der Gewitterziege (auch Capra tornitrua et fulgara). Wer so allerdings ein zänkisches Weib benennt, sollte wissen, die Bezeichnung geht auf die alten Germanen zurück, genauer auf die Zugtiere vor des den Donnerhammer schwingenden Thors Streitwagen – und das waren zwei Ziegenböcke.
Bibelnotorisch ist die Ziege natürlich auch – unter anderem in Gestalt des Sündenbocks, der in die Wüste geschickt wird.
Und auch ansonsten: Egal, ob bockig oder zickig – das hohe Lob der Ziege singt keiner. Wer den Bock zum Gärtner macht oder sich hat wie die Zicke am Strick, wer sich ins Bockshorn jagen lässt – hat den Spott gratis dazu.
Da ist dann auch der Kulturkreis egal. Ein türkisches Sprichwort sagt wohl: „Die Ziege ist ein Teufel, das Schaf ist ein Engel,das Kamel ist ein Pilger, und das Pferd ist ein Held.“
Bei all der Unbill ist es tröstlich, dass die Ziege (Capra) auch echte Freunde hat. Neben allen Lesern von „Der Wolf und die sieben Geißlein“sowie allen Fans des allerliebsten sowjetfilmischen Meckerns („Waaaasssssjaaaa“, „Aljonuschkaaa“) sind dies in hiesigen Breiten vor allem die Mitglieder des Schafund Ziegenzuchtvereins Kölleda. Der besteht bereits seit 1980, damals noch als Mitgliedsverein des Verbands der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter (KKVSK), gründete sich 1990 nach bundesrepublikanischem Vereinsrecht neu und hat jetzt 23 Mitglieder. „Zur Gründung waren wir nur 9“, erinnert sich Christian Kästner, der Vereinsvorsitzende. Das Durchschnittsalter der Mitglieder liegt bei 59 Jahren. Hermann Rößler sorgt mit seinen 91 für den Ausschlag nach oben. Der Jüngste ist 28.
Der Chef selbst züchtet die vom Aussterben bedrohte Thüringer Waldziege und macht das mit Spaß und aus Überzeugung. Dabei kam er zu seiner ersten Ziege rein zufällig. Eigentlich hielt er damals – „das ist schon ewig her!“– nebenbei Schafe. Er hatte ein Muttertier und ein Lamm zu einem Bekannten mit auf dessen Weide gegeben. Der musste dann mitteilen: „Dein Mutterschaf ist tot.“Kästner brauchte auf die Schnelle Milch für das Lamm und besorgte sich eine Ziege. Dann hieß es zunächst: „Es ist nicht die Mutter, es ist das Lamm“, bevor sich herausstellte, dass keines von Kästners Tieren zu Tode gekommen war. Sei es, wie es war: Die Ziege blieb – und es folgten ihr im Laufe der Jahre noch viele nach.
Auch Kästners Vorstandskollegin Jana Richter ist auf die Ziege gekommen. Bei ihr in Beichlingen sind es vorrangig Mischlinge aus Burenziege und Weißer Deutscher Edelziege, die sie auf Trab halten. „Flöcki“ist da Chefin im Ring, also auf der Weide und im Stall. Schneeweiß, ordentlich groß und extrem neugierig. Und die Dame macht Männchen. Um an saftiges Grün zu kommen – wegen der Trockenheit ist das fast nur an den Ästen einiger umstehender Bäume zu finden – nutzt sie die ausgestreckten Hände Jana Richters als Steighilfe.
Wer sagt da noch etwas von dumm? „Nein, das stimmt wirklich nicht!“, betonen die Experten. Die Tiere haben nur ihren eigenen Kopf. Und ganz viel Hunger. „Die holen auch die Wäsche von der Leine“, weiß Christian Kästner. Nicht umsonst heißt es: „Wer sich grün Eine Unterstützung des Gleichgewichtes gibt Jana Richter. anmalt, wird von den Ziegen gefressen!“Umgekehrt geht das natürlich auch. Mit Ziegenkäse und mit Bockwurst. Jana Richter: „Etwas feiner im Geschmack und gar nicht nach Ziege...“, Rostbratwurst und Salami.
Die Kölledaer sind Mitglied im Landesverband Thüringer Die Thüringer Waldziege ist sehr selten geworden.
Ziegenzüchter und zählen mit dem Ziegenzuchtverein Berkach zu den Aktivstposten. Nach dem Wippertusfest und dem Umzug zur 850-Jahrfeier von Battgendorf werden sie demnächst ihr Hobby und ihre Tiere auch beim 27. Thüringer Schäfertag am 4. August in Hohenfelden
und bei den 10. Grünen Tagen vom 21. bis 23. September auf der Erfurter Messe vorstellen.
Mein filmischer Wochenendtipp: „Männer, die auf Ziegen starren“(Grant Heslov, USA, 2009) – hat außer dem Titel nicht viel mit Ziegen zu tun.