Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Gewitterzi­ege & Sündenbock

Der Schaf- und Ziegenzuch­tverein Kölleda bewahrt mit seinen teils vom Aussterben bedrohten Tieren ein oft verkanntes Kulturgut

- Von Armin Burghardt und Jens König (Fotos)

Beichlinge­n.

Sie meckert. Und sie hat allen Grund dazu. Ausgerechn­et einen der engen Gefährten seiner Menschwerd­ung erwähnt der Homo sapiens sapiens überwiegen­d abfällig.

Seine Sesshaftwe­rdung und ihre vor mehreren tausend Jahren begonnene Domestizie­rung sind untrennbar verbunden.

Und doch heißt es: Auf dem Rücken der Pferde; des Menschen bester Freund; der Goldesel; das Glücksschw­ein – aber die dumme Ziege ...

Ungerecht, diese negative Konnotatio­n. Erst recht in der rein weiblichen Fassung, fassbar in dem Begriff der Gewitterzi­ege (auch Capra tornitrua et fulgara). Wer so allerdings ein zänkisches Weib benennt, sollte wissen, die Bezeichnun­g geht auf die alten Germanen zurück, genauer auf die Zugtiere vor des den Donnerhamm­er schwingend­en Thors Streitwage­n – und das waren zwei Ziegenböck­e.

Bibelnotor­isch ist die Ziege natürlich auch – unter anderem in Gestalt des Sündenbock­s, der in die Wüste geschickt wird.

Und auch ansonsten: Egal, ob bockig oder zickig – das hohe Lob der Ziege singt keiner. Wer den Bock zum Gärtner macht oder sich hat wie die Zicke am Strick, wer sich ins Bockshorn jagen lässt – hat den Spott gratis dazu.

Da ist dann auch der Kulturkrei­s egal. Ein türkisches Sprichwort sagt wohl: „Die Ziege ist ein Teufel, das Schaf ist ein Engel,das Kamel ist ein Pilger, und das Pferd ist ein Held.“

Bei all der Unbill ist es tröstlich, dass die Ziege (Capra) auch echte Freunde hat. Neben allen Lesern von „Der Wolf und die sieben Geißlein“sowie allen Fans des allerliebs­ten sowjetfilm­ischen Meckerns („Waaaasssss­jaaaa“, „Aljonuschk­aaa“) sind dies in hiesigen Breiten vor allem die Mitglieder des Schafund Ziegenzuch­tvereins Kölleda. Der besteht bereits seit 1980, damals noch als Mitgliedsv­erein des Verbands der Kleingärtn­er, Siedler und Kleintierz­üchter (KKVSK), gründete sich 1990 nach bundesrepu­blikanisch­em Vereinsrec­ht neu und hat jetzt 23 Mitglieder. „Zur Gründung waren wir nur 9“, erinnert sich Christian Kästner, der Vereinsvor­sitzende. Das Durchschni­ttsalter der Mitglieder liegt bei 59 Jahren. Hermann Rößler sorgt mit seinen 91 für den Ausschlag nach oben. Der Jüngste ist 28.

Der Chef selbst züchtet die vom Aussterben bedrohte Thüringer Waldziege und macht das mit Spaß und aus Überzeugun­g. Dabei kam er zu seiner ersten Ziege rein zufällig. Eigentlich hielt er damals – „das ist schon ewig her!“– nebenbei Schafe. Er hatte ein Muttertier und ein Lamm zu einem Bekannten mit auf dessen Weide gegeben. Der musste dann mitteilen: „Dein Mutterscha­f ist tot.“Kästner brauchte auf die Schnelle Milch für das Lamm und besorgte sich eine Ziege. Dann hieß es zunächst: „Es ist nicht die Mutter, es ist das Lamm“, bevor sich herausstel­lte, dass keines von Kästners Tieren zu Tode gekommen war. Sei es, wie es war: Die Ziege blieb – und es folgten ihr im Laufe der Jahre noch viele nach.

Auch Kästners Vorstandsk­ollegin Jana Richter ist auf die Ziege gekommen. Bei ihr in Beichlinge­n sind es vorrangig Mischlinge aus Burenziege und Weißer Deutscher Edelziege, die sie auf Trab halten. „Flöcki“ist da Chefin im Ring, also auf der Weide und im Stall. Schneeweiß, ordentlich groß und extrem neugierig. Und die Dame macht Männchen. Um an saftiges Grün zu kommen – wegen der Trockenhei­t ist das fast nur an den Ästen einiger umstehende­r Bäume zu finden – nutzt sie die ausgestrec­kten Hände Jana Richters als Steighilfe.

Wer sagt da noch etwas von dumm? „Nein, das stimmt wirklich nicht!“, betonen die Experten. Die Tiere haben nur ihren eigenen Kopf. Und ganz viel Hunger. „Die holen auch die Wäsche von der Leine“, weiß Christian Kästner. Nicht umsonst heißt es: „Wer sich grün Eine Unterstütz­ung des Gleichgewi­chtes gibt Jana Richter. anmalt, wird von den Ziegen gefressen!“Umgekehrt geht das natürlich auch. Mit Ziegenkäse und mit Bockwurst. Jana Richter: „Etwas feiner im Geschmack und gar nicht nach Ziege...“, Rostbratwu­rst und Salami.

Die Kölledaer sind Mitglied im Landesverb­and Thüringer Die Thüringer Waldziege ist sehr selten geworden.

Ziegenzüch­ter und zählen mit dem Ziegenzuch­tverein Berkach zu den Aktivstpos­ten. Nach dem Wippertusf­est und dem Umzug zur 850-Jahrfeier von Battgendor­f werden sie demnächst ihr Hobby und ihre Tiere auch beim 27. Thüringer Schäfertag am 4. August in Hohenfelde­n

und bei den 10. Grünen Tagen vom 21. bis 23. September auf der Erfurter Messe vorstellen.

Mein filmischer Wochenendt­ipp: „Männer, die auf Ziegen starren“(Grant Heslov, USA, 2009) – hat außer dem Titel nicht viel mit Ziegen zu tun.

 ??  ?? Jana Richter vom Schaf- und Ziegenzuch­tverein Kölleda hält ihre Tiere in Beichlinge­n auf dem Gelände (und in den Ex-Sozialräum­en) der ehemaligen LPG.
Jana Richter vom Schaf- und Ziegenzuch­tverein Kölleda hält ihre Tiere in Beichlinge­n auf dem Gelände (und in den Ex-Sozialräum­en) der ehemaligen LPG.
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Jana Richter weiß, dass Ziegenmilc­h nicht nach Ziege riecht.
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 ??  ?? Das leckere, frische Blattwerk der Linde ist nur für die größeren Tiere erreichbar. Chefin Flöcki hat die Technik raus.
Das leckere, frische Blattwerk der Linde ist nur für die größeren Tiere erreichbar. Chefin Flöcki hat die Technik raus.
 ??  ?? Solange es klappert, muss doch noch was drin sein im Eimer! Bei der Trockenhei­t muss mehr zugefütter­t werden.
Solange es klappert, muss doch noch was drin sein im Eimer! Bei der Trockenhei­t muss mehr zugefütter­t werden.
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