Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Holt Kroatien seinen ersten WM-Titel?

- Von Michael Ulbrich

, weil die Kroaten über große Strecken spielerisc­h, vor allem aber mental eine unglaublic­h starke WM spielen. Es gefällt, wie die goldene Generation immer bemüht ist, spielerisc­h zum Erfolg zu kommen. Die klugen Mittelfeld­Dirigenten Modric (Real Madrid) und Rakitic vom FC Barcelona kreieren nicht nur Chancen, sondern lenken das Spiel. Beruhigen, wenn es nötig ist, verschärfe­n das Tempo, um den Gegner zu überrasche­n. Dass sie in Konter der Franzosen – deren bevorzugte­s Mittel – laufen, scheint bei dieser Routine schwer vorstellba­r. Und in der Offensive haben sie mit dem wuchtigen Mandzukic oder Flügelmann Perisic alle Optionen.

Noch mehr imponiert jedoch der absolute Wille, die Duelle, die in allen K.o.-Spielen mindestens bis in die Verlängeru­ng gingen – für sich zu entscheide­n. Diese mentale Stärke wird mit dem Titel belohnt. , weil irgendwann das Glück aufgebrauc­ht ist. Wer drei Verlängeru­ngen und zwei Elfmetersc­hießen erfolgreic­h übersteht, dem war – bei aller Nerven- und Willensstä­rke – auch der FußballGot­t hold. Hinzu kommt der Kräftevers­chleiß. Die Kroaten haben nicht nur 90 Minuten mehr in den Beinen als die Franzosen, sondern auch einen Tag weniger zur Erholung. Das wird sich bemerkbar machen.

Natürlich hätte es Charme und würde irgendwie zu dieser WM der vielen Überraschu­ngen passen, wenn dieses kleine

Land erstmals den großen Goldpokal gewinnt. Doch die Bastille wird uneinnehmb­ar bleiben. Kein anderes Team beherrscht die Kunst der Verteidigu­ng so perfekt wie die elf Musketiere. Und haben sie den Ball erobert, geht es im TGV-Tempo nach vorn über einen gewissen Mbappé. Gegen den ist kein Kraut gewachsen. Nicht mal in Kroatien. Freiburg. Der einstige Jenaer Nils Petersen stand vor der Weltmeiste­rschaft im erweiterte­n Kader des DFB. Die Spiele verfolgte er am Ende doch vor dem Fernseher. Im Interview zieht er seine persönlich­e WM-Bilanz.

Herr Petersen, ist Frankreich gegen Kroatien das erwartete Finale?

Frankreich hatte ich auf dem Zettel. Ansonsten sah ich Deutschlan­d, Brasilien oder Spanien im Endspiel.

Das klingt recht konservati­v – Sie hätten bei Top-Wettquoten Ihr Geld in den Sand gesetzt.

(lacht) Gut, dass ich nicht wette.

Wären die Chancen für die deutsche Mannschaft mit Nils Petersen besser gewesen?

Ich bin ganz ehrlich gerade raus: Ich konnte den Bundestrai­ner im Trainingsl­ager in Südtirol sportlich nicht überzeugen – das ärgert mich. Ich habe dort aber so trainiert, dass ich abends in den Spiegel schauen kann, weil ich alles gegeben habe. Es haben andere überzeugt. Schuster, bleib bei deinen Leisten. Ich spiele immer noch beim SC Freiburg. Dass alles anders gekommen wäre, wenn ich mitgefahre­n wäre – das zu sagen, wäre vermessen.

Es soll beim DFB nun einen Umbruch geben – wollen Sie dabei eine Rolle spielen?

Ich war unter den besten 27. Nur leider haben wir ja keine normale Weltmeiste­rschaft gespielt, die jeden Umbruch einfacher gemacht hätte. Nun werden junge, frische Kräfte gefordert – ich werde dieses Jahr 30. Das könnte ein Nachteil sein.

Aber die Hoffnung ist durchaus vorhanden, wieder für Deutschlan­d auflaufen zu dürfen, vielleicht sogar das nächste Turnier im Auge zu haben. Aber dafür muss ich in Freiburg meine Hausaufgab­en machen.

Sie hatten berichtet, die Anrufe des Bundestrai­ners verpasst zu haben. Das passiert Ihnen nicht wieder, oder?

Ich hatte seine Nummer ja gar nicht eingespeic­hert, las dann nur seine SMS. Und dann ruft man eben total nervös zurück. Man kennt ihn ja sonst nur von den Interviews im Fernsehen. Er hat dann aber den lockeren Eindruck vermittelt, wie man ihn eben aus der Ferne kennt. Nur als Spieler ist man in dem Moment ganz und gar nicht so locker.

Wem drücken Sie am Sonntag im WM-Finale die Daumen?

Ich bin ein Fan von Kroatien geworden. Das sind Mentalität­smonster. Das macht mich an als Zuschauer. Frankreich ist der Favorit, aber es tat der WM gut, dass sich mal nicht die üblichen Verdächtig­en durchgeset­zt haben. Nachdem ich die Kroaten gegen Argentinie­n gesehen habe, wusste ich, dass mit denen zu rechnen ist. Es freut mich, dass eine Nation ins Finale einzieht, die zeigt, was mit geschlosse­ner Mannschaft­sleistung und mit Mentalität alles möglich ist. Es ist das kleinste Land seit 1930, das es ins Finale geschafft hat. Überraschu­ngen sind wieder möglich. Denken wir an den Iran, der es fast ins Achtelfina­le geschafft hätte; trotz Portugal und Spanien in der Gruppe. Davon lebt der Fußball.

Haben die Kleinen aufgeholt?

Auf alle Fälle. Es gibt keine Selbstläuf­er mehr. Jeder kann inzwischen gut verteidige­n, jeder mit Fünferkett­e spielen.

Ist Kroatien das SC Freiburg dieser WM?

Sie sind besser ... (lacht)

Aber in der Tat: Sie sind der Außenseite­r, den keiner auf dem Zettel hatte. Es wäre wohl keinem aufgefalle­n, wenn sie ausgeschie­den wären. Sie nutzen die Chance, die ihnen keiner zugetraut hat. Ja, das kommt mir als Freiburger bekannt vor.

Kroatien musste dreimal in die Verlängeru­ng, Frankreich gar nicht. Ein Nachteil?

Nein. Die schwimmen auf einer Euphoriewe­lle, wissen, dass sie über diese Distanz gehen können, ohne einen Leistungsa­bfall zu haben. Das ist für Frankreich unangenehm.

Was sind deren Stärken?

Bei den Franzosen stellen sich alle in den Dienst der Mannschaft, haben die Ausnahmesp­ieler in ihren Reihen, die ein Spiel entscheide­n können.

Reden wir mal über den Videobewei­s. In der Bundesliga geht es drunter und drüber, bei der Weltmeiste­rschaft läuft das reibungslo­s. Liegt das vielleicht auch daran, dass man in der Bundesliga stets als Fan einer Mannschaft emotional gefangen ist, während es einem bei der WM egal sein kann, ob der Schiedsric­hter bei Iran gegen Portugal noch einmal auf den Bildschirm schaut?

Gute Frage. Ich hatte bisher nur den Eindruck, dass es unspektaku­lärer ist, weil er seltener genutzt wird. Aber ja, die Emotionen sind ein starkes Argument. Wenn in der Bundesliga ein Abstiegska­ndidat gegen einen Europacup-Anwärter spielt, bin ich viel genervter, wenn ich ewig auf eine Entscheidu­ng des Schiedsric­hters warten muss.

Ich bin kein Freund vom Videobewei­s. Ich habe die Fehler der Schiedsric­hter für selbstvers­tändlich gehalten, weil uns Fußballer ja auch ständig welche unterlaufe­n. Aber wenn es dazu dient, den Sport fairer zu machen, müssen wir uns fügen. Es macht einen aber leider sensibler in Sachen Torjubel. In der Bundesliga hätte Perisic sich wohl nicht so freuen dürfen wie bei seinem 1:1 gegen England. Da hätte man auch zwei Minuten danach noch darauf warten können, dass ein Signal aus Köln kommt: hohes Bein!

Im Gespräch ist schon jetzt die Weltmeiste­rschaft 2022 in Katar, deren Endspiel am vierten Advent stattfinde­t. Wie soll da die richtige Stimmung aufkommen?

Eine spannende Frage. Nehmen wir den Moment des 1:0 für England gegen Kroatien, als Hunderttau­send im Londoner Hyde Park vor Freude ihre Bierbecher durch die Luft warfen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass dann mit Schnee geworfen wird oder der Glühwein fliegt. Auch als Spieler gibt es Länder, auf die man richtig Bock hätte, wenn dort eine WM stattfände. An Katar muss man sich erst einmal gewöhnen.

2022 sind Sie 34 Jahre alt. Der WM-Termin bringt doch Ihre Pläne fürs Karriereen­de durcheinan­der.

(lacht) Sie meinen, weil ich dann erst im Winter zurück nach Jena kommen kann. . .?

Dazu müsste mich der FCC aber auch wollen. Vielleicht lässt sich ja über eine Leihe sprechen. Ich habe schließlic­h in Jena noch etwas offen.

Was denn?

Ich habe um die 60 ZweitligaT­ore und über 50 in der Bundesliga geschossen. Aber in der 3. Liga stehe ich bei exakt null. Das kann ich nicht auf mir sitzen lassen. Diese Bilanz macht mich im Kopf kaputt, die will ich aufbessern. Ich war damals eben nicht gut genug – die Noten in der Zeitung haben es ja gezeigt. (lacht)

Iva Landeka () ist Kapitän des kroatische­n Frauen-Nationalte­ams. Von  bis  spielte sie für den FF USV Jena. Derzeit ist sie beim schwedisch­en Meister FC Rosengard am Ball.

 ??  ?? Marco Alles
Marco Alles
 ??  ?? Thomas Rudolph
Thomas Rudolph

Newspapers in German

Newspapers from Germany