Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Aperitivo
Lässig über die Piazza schlendern, üppig essen – und zum Nachtisch Mozart-Eis? In Friaul-Julisch Venetien ist fast alles wie im Rest Italiens. Wäre da nicht die Sache mit den Österreichern
Toskana, Rom, Rimini: Wer an Italien denkt, hat oft die bekannten Ecken des Landes im Kopf. Friaul-Julisch Venetien im Nordosten dagegen sagt vielen erstmal nichts. Dabei lohnt die Erkundung der autonomen Region östlich von Venedig, die lange zu Österreich gehörte und manchmal so wirkt, als habe sich daran nicht viel geändert.
Udine
Udine liegt im Herzen des Friauls. Knapp 100 000 Menschen leben hier. Zwischen Anwaltskanzleien finden sich Luxusmode und Tabakfachgeschäfte, so dass man auch im gut 300 Kilometer entfernten Salzburg sein könnte. Aber der Eindruck trügt: Auf der Piazza San Giacomo toben Kinder, gut gekleidete Männer telefonieren mit ausschweifenden Gesten. An ein Kiosk wurde auf Italienisch gesprüht: „Die Liebe aufzugeben, ist schwieriger, als das Leben aufzugeben.“Natürlich ist das Italien! An der Piazza Libertà könnte man gar denken, man sei in Venedig: Die elegante Säulenhalle Loggia del Lionello ist ein Höhepunkt der Stadt.
Grado
Der österreichische Adel verbrachte hier oft den Sommer. Und Österreich ist in Grado immer noch allgegenwärtig. Die Kellner begrüßen einen am südlichen Zipfel Friaul-Julisch Venetiens auf Deutsch, die Menütafeln der Restaurants sind es auch, im Café gibt es Kaiserwasser. Der größte Trumpf der Sonneninsel – alle Strände sind nach Süden ausgerichtet – ist die 12 000 Hektar große Lagune. Hier kann man Vögel beobachten, Pflanzen bestimmen, den Meeresgeruch genießen.
Triest
Triest ist seit 1962 Hauptstadt von FriaulJulisch Venetien – und gilt als „Wien am Meer“. Tatsächlich erinnert die Architektur an die österreichische Metropole. Weil in den Kriegen kaum etwas zerstört wurde, machen die Fassaden der herrschaftlichen Häuser die Stadt zur Kulisse für einen Jahrhundertwenderoman. Auf einer Brücke am Canal Grande steht dann auch James Joyce. Als Statue. Der irische Schriftsteller lebte einige Jahre in Triest, sprach gar Triestino, den örtlichen Dialekt. Joyce arbeitete hier unter anderem an seinem Meisterwerk „Ulysses“ und hing gern in Cafés herum. Bis heute sind die altehrwürdigen Kaffeehäuser beliebte Treffpunkte. „Triest ist eine entspannte Stadt“, sagt auch Tiziana Zamai, die Touristen die Geschichte der Stadt erläutert. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs gehörte Triest zu Österreich. Die Habsburger bauten es zur Hafenstadt aus. Danach fiel Triest an Italien, bis es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs an Jugoslawiens Diktator Tito ging. Erst 1954 kam es zu Italien zurück. Die Nähe zum Balkan und die österreichische Vergangenheit verleihen der Stadt internationales Flair – und eine internationale Küche.
Cormòns
In den Bergen an der slowenischen Grenze mitten in der Weinbauregion Collio liegt das kleine Dorf Cormòns. Der Slowene Josko Sirk hat hier eine weitläufige Ferienanlage namens „La Subida“geschaffen, zu der auch ein Sternerestaurant gehörtzu. Auch hier merkt man, wie wichtig Essen und Trinken im Friaul sind: In den Unterkünften liegen Weinführer, Gourmet-Zeitschriften und Bildbände über die friaulische Küche.
Unten im Ort steht Francesco Simonit in seiner Bäckerei, in der schon sein Großvater Teig wälzte. Der 73-Jährige backt noch selbst und wiegt Bonbons auf einer alten Küchenwaage. Brot mit Pfeffer, Oliven oder Feigen ist seine Spezialität. Er warnt, zum Pfefferbrot – ein runder Keks – müsse man viel trinken. Tatsächlich ist das Gebäck schärfer als erwartet und nicht so zuckrig, wie man erwartet.
Simonits Laden wiederum sieht noch so aus wie zur Eröffnung im vorigen Jahrhundert, das modernste im Laden dürfte das Telefon sein. Es hat eine Wählscheibe. Auf die Frage, ob es funktioniert, ruft der gemütliche Italiener: „Sì, sì!“Ob er mal daran dachte, die Stadt zu verlassen und etwas anderes zu machen? Simonit kann mit der Frage nichts anfangen. „Nein, wir waren doch schon immer hier“, sagt er und fragt, ob die Besucherin nicht einen Schnaps wolle.