Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
„Man muss bei der AFD differenzieren“
Zum Start des Kirchentags in Dortmund spricht EKD-CHEF Bedford-strohm über rechte Wähler, politische Hetze und Seenotrettung im Mittelmeer
Dortmund. Wenn es um die Wahrung christlicher Werte geht, scheut Heinrich BedfordStrohm keinen Konflikt. Zur Eröffnung des Kirchentags in Dortmund haben wir mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gesprochen.
Wird dieser Kirchentag politischer als frühere Treffen?
Nein. Der Kirchentag hat schon immer die politischen Dimensionen einbezogen. Und das muss auch so sein. Das Doppelgebot der Liebe verpflichtet uns dazu: Gottesliebe und Nächstenliebe gehören zusammen. Jesus hat uns Christen hier einen klaren Auftrag gegeben. Immer dort, wo die Not des Nächsten groß ist, müssen wir darüber nachdenken, was eben auch politisch unternommen werden kann und muss, um sie zu lindern. Diesen Geist atmet der Kirchentag.
Die AFD ist nicht zum Kirchentag eingeladen und hat der EKD einen „Pakt mit dem linksgrünen Zeitgeist“vorgeworfen. Wie reagieren Sie? Jenseits solcher Zerrbilder muss man festhalten, dass mit dem christlichen Glauben Grundorientierungen verbunden sind. Grundorientierungen, die etwa verbieten, ganze Menschengruppen abzuwerten. Die verbieten, Rassismus oder Antisemitismus zu propagieren. Auch die Erhebung der menschlichen Kälte zum Programm, etwa gegenüber Flüchtlingen, deren Not und Leid einfach ausgeblendet werden, ist unverträglich mit dem christlichen Glauben. Wenn jemand sagt, ich bin zuerst Deutscher und dann Christ, dann ist das Ketzerei.
Dürfen Christen also keine AFD wählen?
Es geht nicht um Parteipolitik, sondern um Grundorientierungen. Und in diesem Punkt muss man bei der AFD genauso differenzieren wie bei anderen Gruppen. Es gibt Menschen, die wählen die AFD aus Protest. Andere haben konservative Einstellungen und fühlen sich in anderen Parteien derzeit nicht zu Hause. Dann gibt es aber auch Menschen, die wirklich rechtsextreme Auffassungen vertreten und die Erinnerungskultur in Deutschland kaputtmachen wollen. Gegen die hilft nur ein deutliches Nein und die klare Kante eines wehrhaften Rechtsstaates. Die beiden erstgenannten Gruppen müssen sich fragen, ob sie nicht den Rechtsextremen Deckung geben, wenn sie die gleiche Partei wählen. Die Grenze ist erreicht, wenn gehetzt wird, wenn rassistische oder antisemitische Einstellungen vertreten werden. Dafür darf der Kirchentag kein Forum bieten.
Der Kirchentag ist einer der letzten Marktplätze der Meinungen über gesellschaftlich relevante Themen. Aber ohne Konsequenzen, oder? Doch, er hat Konsequenzen, und die sind überall eindrucksvoll sichtbar. Gehen Sie in Dortmund doch einmal über den Markt der Möglichkeiten. Dort zeigen Menschen, was sie für die Gesellschaft leisten. Kirchentage sind ein riesiges Ermutigungsprogramm für unser Land. Sie finden dort viele Ehrenamtliche, die sich sehr konkret engagieren, die nicht nur reden, sondern handeln, zum Beispiel in der Notfallseelsorge oder Hospizarbeit. Menschen wie diese leben die Arbeit und den Auftrag der Kirche. Unser Land wäre viel ärmer ohne sie.
Sie fordern, dass die Seenotrettung im Mittelmeer eine staatliche Aufgabe bleiben muss. Bisher ohne politische Folgen. Entmutigt Sie das?
Am Donnerstag ist gerade eine hochaktuelle Veranstaltung genau zu diesem Thema neu auf das Kirchentags-programm gekommen. Der Bürgermeister von Palermo wird in Dortmund mit deutschen Amtskollegen dabei sein. Die Anliegen des Palermo-appells erfahren gerade parteiübergreifend auf kommunaler Ebene viel Unterstützung. Wir werden weiter auf Antworten drängen, damit das Sterben im Mittelmeer ein Ende findet. Es kann nicht sein, dass Europa tatenlos zuschaut, wie Menschen im Mittelmeer ertrinken und dann noch jene, die als einzige überhaupt noch Leben retten, kriminalisiert werden. Es kann nicht sein, dass Flüchtlinge ihrem Schicksal überlassen werden oder nach Libyen zurückgeschickt werden, wo sie von skrupellosen Verbrechern ausgebeutet werden. Deswegen muss ein Verteilmechanismus in Europa installiert werden, der unter anderem sicherstellt, dass Italien nicht alleine gelassen wird bei der Aufnahme von Flüchtlingen und dass die Geretteten einen sicheren Ort an Land finden.