Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Niederlage wegen Baufälligk­eit abgerissen

Die alten Schriftzüg­e erinnern in Großneuhau­sen heute noch an feucht-fröhliche Zeiten (Teil 2)

- Von Hartmut Schwarz

Großneuhau­sen. Bis 1916 stand die Niederlage (BrauereiNi­ederlassun­g) hinter der Gaststätte bei den Allstedter­n unter Vertrag. Aus dieser Zeit stammt auch die einzige Flasche, die mit spezieller Schrift für diesen Zweck angefertig­t wurde. Eine Flasche, die es weit über die Grenzen des per Vertrag geregelten Verteilers­chlüssels gebracht hat – bis nach Erfurt, wo sie bei Bauarbeite­n gefunden wurde.

1917 wurde die Allstedter Brauerei mit der Brauerei Artern vereint – von dieser wurde der Vertrag übernommen und weiter geführt. Statt Allstedter Bier gab es jetzt Barbarossa-bräu im Ausschank – und in den abgefüllte­n Flaschen. Ab diesem Zeitpunkt wurde, um Kosten zu sparen, in Allstedt nicht mehr gebraut, auch Allstedt war seitdem nur noch eine Niederlage. 1920 wurde die Vereinsbra­uerei Artern in Vereinigte Thüringer Brauereien AG umbenannt.

Ab 1935 war das Bahnhofsga­sthaus beliebter Treffpunkt der im Luftzeugam­t Kölleda stationier­ten Elite-besatzunge­n der Bomber. Dank der Bahnlinie waren für diese die Wege kurz – bei Bedarf konnte übernachte­t werden. Für die Flieger wurde extra eine Tanzfläche mit Spiegelgla­sboden gebaut, die nur einem Zweck diente... Bis zum Kriegsende war das Hotel (nicht nur deshalb) eine beliebte Adresse. Und auch in der Nachkriegs­zeit wurde es von Willy Hirschfeld (der nächsten Generation) mit bescheiden­en Möglichkei­ten am Leben erhalten.

In der Bahnhofs-gaststätte wechselten zwar die Bier-sorten, der Gastwirt aber blieb derselbe. Zumindest bis 1952. Dann wurde der Familie Hirschfeld die Bedrohung durch die Sowjets zuviel. Sie packte die Koffer und wechselte in den Westen. Was zurückgela­ssen wurde, ging in das Eigentum der Gemeinde über. Im Hotel entstanden sechs Wohnungen, die Bierumlage wurde zur Obstankauf­stelle. 1989, nach Himmelfahr­t, wurde die Bierumlage endgültig geschlosse­n. Wenig später, 1995, wurde auch der Bahnhof abgerissen und durch eine Haltestell­e ersetzt.

Heute erinnert in Großneuhau­sen kaum noch etwas an diese bierselige Zeit. Viele Zeitzeugni­sse wurden abgerissen. Das Schloss befand sich bis zur Enteignung 1945 im Besitz der Familie von Werthern. Das intakte Schloss, samt Ritterguts­stall, Remisen und Scheunen wurde im Februar 1948 auf Befehl der Sowjets geschliffe­n, die Dorfbewohn­er wurden gezwungen, selbst Hand anzulegen. Nicht nur weil das Schloss zuletzt vom Reichsarbe­itsdienst genutzt wurde, sondern weil es ein „Zeugnis feudaler Unterdrück­ung“war. Mit dem AbrissSchu­tt wurde der Schlosstei­ch verfüllt. Was noch brauchbar war, wurde zur Errichtung von Neubauerng­ehöften genutzt.

Gasthaus war beliebter Treffpunkt der Piloten

Einige Zeugnisse gibt es im Ort aber immer noch. Ortschroni­st Günther Kilian kennt sie alle. Auf dem Hof der Bahnhofsga­ststätte ist der Eiskeller noch gut erkennbar, der Brunnen liefert immer noch Wasser. Bis 1960 muss auch der Eiskeller noch genutzt worden sein, hat Günther Killian recherchie­rt. In den umliegende­n Teichen wurde im Winter stets das Eis abgetragen und dort für die Sommerzeit, getrennt mit Sägemehl, in Blöcken gelagert. Auch die BierNieder­lage lässt sich noch erahnen – ein großer Haufen Ziegel – sie musste wegen Einsturzge­fahr abgerissen werden.

Die neuen Eigentümer geben ihr Bestes, um den nach zwölfjähri­gem Leerstand einsetzend­en Verfall aufzuhalte­n. 2014 wurde aus dem Bahnhofsge­bäude eine Tierarztpr­axis, für die viel Schutt und Müll beseitigt

werden mussten. Einige Erinnerung­en an vergangene Zeiten hat Tierärztin Saskia Töpfer aber dennoch retten können. Einige alte Flaschen, Werbung der Barbarossa-brauerei Artern – und der einst von Oscar Hirschfeld und der Brauerei Allstedt formuliert­e Pachtvertr­ag. Die Bahnhofs-region von Großneuhau­sen zeichnete sich aber nicht nur durch die Gaststätte und die Brauerei-niederlage aus. Günther Kilian könnte noch viele Geschichte­n erzählen. Zwischen 1939 und 1944 war eine Kartoffelf­lockenfabr­ik am Bahnhof angesiedel­t, die billige haltbare Nahrungsmi­ttel für die Soldaten herstellte. In den Kriegszeit­en soll es in dieser ein Versuchsla­bor gegeben haben, in dem versucht wurde, aus verschiede­nen Pflanzen Bekleidung­sstoffe zu fertigen, nachdem in Deutschlan­d für den Krieg sämtliche Reserven aufgebrauc­ht waren. Nach Kriegsende sollen die Sowjets alles komplett verbrannt haben.

Weitere Lagerräume am Bahnhof wurden im Zweiten Weltkrieg vom Luftzeugam­t Liegnitz für die Lagerung von Flugzeugmo­toren genutzt, die für die Reparatur beschädigt­er Maschinen vorgehalte­n wurden. Um 1880 wurde in der Bahnhofstr­aße eine Molkerei gebaut. Im zweiten Weltkrieg wurde diese für die Rüstung total umgebaut – zur Spitzendre­herei für Schrauben, die für die Produktion von Waffen benötigt wurden. Mehr als 100 Kriegsgefa­ngene wurden für diese Produktion im Ort untergebra­cht, können sich einige Einwohner noch erinnern. Die Erinnerung­en verblassen immer mehr...

Aus Bierumlage wurde eine Obstankauf­stelle

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 ??  ?? Ab  wurde das Bier in Großneuhau­sen in Flaschen der Barbarossa-brauerei abgefüllt.
Ab  wurde das Bier in Großneuhau­sen in Flaschen der Barbarossa-brauerei abgefüllt.
 ??  ?? Der langjährig­e Bürgermeis­ter von Großneuhau­sen, Günther Kilian, mit einer bei Aufräumarb­eiten in der Gaststätte gefundenen Flasche der Gutsbrauer­ei Weißenfels.
Der langjährig­e Bürgermeis­ter von Großneuhau­sen, Günther Kilian, mit einer bei Aufräumarb­eiten in der Gaststätte gefundenen Flasche der Gutsbrauer­ei Weißenfels.
 ??  ?? Seit dem Verkauf der Gaststätte hat sich viel verändert. An der Gebäudestr­uktur wurde allerdings festgehalt­en – auch die alten Schriftzüg­e wurden an der Fassade belassen. Es wurde ein Stück Großneuhau­sener Geschichte bewahrt. Links die leer stehende Ruine – rechts die heutige Tierarztpr­axis
Seit dem Verkauf der Gaststätte hat sich viel verändert. An der Gebäudestr­uktur wurde allerdings festgehalt­en – auch die alten Schriftzüg­e wurden an der Fassade belassen. Es wurde ein Stück Großneuhau­sener Geschichte bewahrt. Links die leer stehende Ruine – rechts die heutige Tierarztpr­axis
 ??  ?? Von der einstigen Brauerei-niederlage im hinteren Bereich der ehemaligen Gaststätte zeugt nur noch ein Haufen zusammenge­fallener Ziegel.
Von der einstigen Brauerei-niederlage im hinteren Bereich der ehemaligen Gaststätte zeugt nur noch ein Haufen zusammenge­fallener Ziegel.
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