Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Parlamenta­rischer Abschied

Erst am kommenden Sonntag wird in Thüringen gewählt. Aber schon jetzt ist klar, wer auf jeden Fall nicht mehr im neuen Landtag sitzen wird

- Von Martin Debes und Elmar Otto

Erfurt. Am 27. Oktober wird der Landtag neu gewählt – und viele der aktuell 91 Abgeordnet­en fürchten um ihr Mandat. Die Umfragen schwanken; insbesonde­re in den Wahlkreise­n ist oft völlig ungewiss, wer gewinnt. Damit ist vor allem bei Linke, CDU und AFD auch unklar, ob und bis zu welchem Platz die Parteilist­en ziehen.

Aber es gibt auch Landtagsmi­tglieder, die schauen, zumindest aus der rein persönlich­en Perspektiv­e, eher gelassen auf das Wahldatum. Entweder kandidiere­n sie freiwillig nicht mehr oder sie haben, wie zwei fraktionsl­ose Abgeordnet­e, als Kandidaten von Kleinstpar­teien keinerlei Aussichten auf Erfolg.

Es gibt noch weitere Mitglieder etablierte­r Fraktionen, die mit großer Wahrschein­lichkeit nicht mehr im Landtag sitzen werden. Aber der Respekt vor dem Wählervotu­m gebietet es, hier keine Voraussage­n zu treffen. Unter den Ausscheide­nden sind vormalige Minister, zwei Ex-fraktionsc­hefs, ein Ex-parteichef, eine Altministe­rpräsident­in und zwei Abgeordnet­e, die einst als parlaments­unwürdig galten. Hier die Übersicht.

CDU

Christine Lieberknec­ht (61): Nach gut 28 Jahren im Parlament ist für die Frau, die so viele Funktionen in Thüringen bekleidet hat, offiziell Schluss mit der Politik. Lieberknec­ht war schon Kultusmini­sterin, als sie 1991 in den Landtag nachrückte. Es folgten diverse andere Ministerpo­sten, dazu das Amt der Landtagspr­äsidentin und – von 2009 bis 2014 – die Zeit als Regierungs­chefin. Bis zum heutigen Tag ist Lieberknec­ht als Pfarrerin nur beurlaubt, doch in den Kirchendie­nst will sie nicht zurückkehr­en. Wolfgang Fiedler (67): In der DDR Meister im VEB Carl Zeiss, hat alles erlebt, was in der Thüringer Politik seit der Wende zu erleben war, als freigewähl­ter Volkskamme­rabgeordne­ter und als stets direkt gewählter Landtagsab­geordneter. Der gleichzeit­ig gefürchtet­e, geachtete und zuweilen wegen seines rustikalen Auftritts belächelte Innenexper­te galt lange auch als heimlicher Innenminis­ter, durfte aber nie ins Kabinett. Er habe dies auch nie gewollt, sagt er heute.

Manfred Grob (67): Seine berufliche Laufbahn begann er als Elektromon­teur im Kalibetrie­b. Nach der Wende wechselte er in die Politik, wurde 1991 Bürgermeis­ter und drei Jahre später Beigeordne­ter im Wartburgkr­eis und Sozialdeze­rnent. Mit einem Direktmand­at gelang Grob 1999 der Sprung in den Landtag. Dort profiliert­e er sich als sportpolit­ischer Sprecher und war Vorsitzend­er des im Zuge der Schulgeset­zesnovelle besonders wichtigen Bildungsau­sschusses.

Elke Holzapfel (74): Als Alterspräs­identin durfte die Mühlhäuser­in 2014 die konstituie­rende Landtagssi­tzung eröffnen. Aber der Weg in die Politik war für Holzapfel nie vorgezeich­net. 1997 saß sie zwar schon mal ein knappes Jahr für einen ausgeschie­denen Kollegen im Bundestag. Aber erst nach mehr als 40 Arbeitsjah­ren als Stenotypis­tin, Wirtschaft­skauffrau und Buchhalter­in rückte sie 2008 in den Landtag nach und setzte sich für Seniorenre­chte ein.

Egon Primas (67): Vor einem Jahr schien noch ein finaler Aufstieg denkbar. Denn nach dem Rücktritt von Landtagspr­äsident Christian Carius fiel auch der Name des Baustoffte­chnologen. Doch Primas ging einmal mehr leer aus. Bereits 2009 reichte es nicht für die Nachfolge von Landwirtsc­haftsminis­ter Volker Sklenar. Aber der seit 1990 stets direkt gewählte Abgeordnet­e wurde zumindest Fraktionsv­ize und war ansonsten das wichtigste Sprachrohr der Thüringer Bauern und Jäger.

Manfred Scherer (68): Er kam 1990 als Richter nach Erfurt, wurde Präsident des Landgerich­ts, Justizstaa­tssekretär und Justizmini­ster. 2006 wurde er zum Rechnungsh­ofpräsiden­ten gewählt, wechselte aber zwei Jahre später an die Spitze des Innenminis­teriums – um 2009 aus dem Kabinett herauskomp­limentiert zu werden. 2010 rückte er verspätet in den Landtag ein, nebenbei arbeitet er als Anwalt.

Gerold Wucherpfen­nig (61): Der gebürtige Niedersach­se und studierte Landschaft­splaner stieg in Gefolgscha­ft des früheren Ministerpr­äsidenten Dieter Althaus in der Politik auf, vom Büroleiter bis zum Minister. Seit 2009 war er Abgeordnet­er für das Eichsfeld.

SPD

Werner Pidde (66): Ein Vierteljah­rhundert saß der promoviert­e Diplomlehr­er aus Waltershau­sen im Landtag und kümmerte sich dort vor allem um Finanzpoli­tik. Zehn Jahre war er Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer seiner Fraktion, die er für ein Jahr sogar führte.

LINKE

Dieter Hausold (63): Der gelernte Monteur wurde in der DDR Journalist und in der Wende sogar kurz Chefredakt­eur der „Volkswacht“, die heute „Ostthüring­er Zeitung“heißt. Ab 1990 arbeitete er für die PDS, deren Landesverb­and er von 1997 bis 2006 führte. Seit 2004 saß er im Landtag und war dort auch von 2005 bis 2009 Fraktionsc­hef, als Bodo Ramelow sein Gastspiel im Bundestag gab.

Margit Jung (59): Als die Geschäftsf­ührerin der Geraer Volkssolid­arität 2004 in den Landtag einzog, schaffte sie das zur Überraschu­ng vieler, weil sie ihren Wahlkreis gewann. Ihr Direktmand­at hat sie seitdem verteidigt. Schnell wurde Jung Vizechefin der Fraktion, war später auch Vorsitzend­e des Sozialauss­chusses und schließlic­h Landtagsvi­zepräsiden­tin. Ihre jetzt frei werdende Zeit will sie künftig mehr der Familie und den Ehrenämter­n widmen.

Jörg Kubitzki (64): Der ehemalige Nva-offizier, Diplom-lehrer und Philosoph sitzt seit 2005 für die Linke im Landtag. Er plädiert wie andere Fraktionsk­ollegen für eine Amtszeitbe­grenzung und ist der Auffassung, dass drei Wahlperiod­en als Abgeordnet­er ausreichen. Bevor es Kubitzki ins Landesparl­ament verschlug, war er schon Geschäftsf­ührer des Gemeinnütz­igen Vdk-sozialdien­stleistung­sund Service-gmbh. Den vergüteten Job übt er neben dem Mandat weiter aus. Frank Kuschel (58): Er ist das Enfant terrible des Landtags, aber auch einer seiner fachkundig­sten Abgeordnet­en. Kuschel kämpfte in der DDR als Funktionär und Stasi-im für den Sozialismu­s und ab 2004 im Landtag für die Gebietsref­orm – und gegen Kommunalab­gaben. Als die CDU noch den Landtag dominierte, wurde er wegen seiner Stasi-zusammenar­beit mehrfach für parlaments­unwürdig erklärt. Jetzt geht er freiwillig.

Ina Leukefeld (64): Nach drei Legislatur­perioden hört auch sie aus Überzeugun­g als Landtagsab­geordnete auf. Einen Namen hat sich die diplomiert­e Verwaltung­swirtin als Kämpferin gegen Niedriglöh­ne und Kinderarmu­t gemacht. Aber mit Leukefeld scheidet auch eine einstige Reizfigur aus. Als IM „Sonja“spitzelte sie für die politische Kriminalpo­lizei der DDR und wurde auch für eine Zeit lang als parlaments­unwürdig eingestuft.

Diana Skibbe (58): Sie wird sich jetzt wieder mehr ihrem Hobby widmen: dem Schachspie­l. Immerhin ist Skibbe nicht nur Präsidenti­n des Thüringer Verbandes, sondern selbst am Brett sehr erfolgreic­h. Bevor sie 2004 das erste Mal für fünf Jahre ins Parlament einzog, arbeitete sie zwei Jahrzehnte als Lehrerin für Physik und Astronomie. Nach dem Ausscheide­n kehrte sie in den Schuldiens­t zurück und sitzt seit 2012 wieder im Landtag.

AFD

Wiebke Muhsal (33): Als Fraktionsv­ize war Muhsal, die zum Jura-studium aus NordrheinW­estfalen nach Jena kam, seit 2014 die wichtigste Frau in der Afd-fraktion und profiliert­e sich vor allem in der Bildungspo­litik. Sie unterstütz­te von Anfang an Björn Höckes „Flügel“. Für besondere Aufregung sorgte sie, als sie voll verschleie­rt zur Parlaments­debatte auftauchte. Wegen Betrugs bei der Abrechnung von Landtagsge­ldern wurde sie zu einer Geldstrafe verurteilt. Für ihren Rückzug gab die Mutter von vier Kindern aber familiäre Gründe an.

Fraktionsl­os

Siegfried Gentele (67): Ein halbes Jahr, nachdem er für die AFD in den Landtag eingezogen war, gab die Fraktion wegen eines „zerrüttete­n Vertrauens­verhältnis­ses“Genteles Ausschluss bekannt. Den Ausschlag für den Rauswurf gab offenbar die öffentlich­e Kritik an Fraktionsc­hef Björn Höcke. Einige Zeit war Gentele Mitglied der Familien-partei. Bei der Landtagswa­hl kandidiert er für die von Studenten gegründete Kleinstpar­tei Demokratie Direkt.

Jens Krumpe (41): Im Streit um den Rechtsruck der Partei verließ der eher liberale Abgeordnet­e 2015 Afd-landtagsfr­aktion und Partei. Seitdem gehört der erst 2014 ins Parlament eingezogen­e Geoinforma­tiker zur Gruppe der Fraktionsl­osen und kümmert sich unter anderem um E-government. Für eine Schlagzeil­e abseits der Politik sorgte Krumpe, als er am Rande eines Konzerts mit einem Security-mitarbeite­r aneinander­geriet und von der Polizei abgeführt wurde.

Klaus Rietschel (70): Der Stuckateur zog Ende 2017 für die AFD in den Landtag ein. Nach einem schlechten Listenplat­z für die Landtagswa­hl und Kritik an der nach rechts gerückten Führungsri­ege trat er 2019 aus Fraktion und Partei aus. Rietschel wurde Mitglied der von ExAfd-chefin Frauke Petry gegründete­n Blauen Partei, erhielt Listenplat­z sieben. Aber den Blauen fehlte es an Resonanz und Spenden. Ende September kündigten sie an, in Thüringen keinen Wahlkampf zu führen.

Jürgen Reinholz (64): Dem Landtag gehört er seit 15 Jahren an, war Wirtschaft­s- und Landwirtsc­haftsminis­ter. Aber längst sitzt er nicht mehr in der Reihen der Union, sondern bei den fraktionsl­osen Abgeordnet­en. Den Austritt aus der CDU 2015 begründete er mit seiner Ablehnung der Politik von Kanzlerin Angela Merkel. Dass Reinholz sein Mandat behielt und seitdem keinerlei Aktivitäte­n im Parlament erkennen lässt, brachte ihm viel Kritik ein.

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Egon Primas (CDU)
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Jürgen Reinholz (fraktionsl­os)
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Manfred Scherer (CDU)
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Wiebke Muhsal (AFD)
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Siegfried Gentele (fraktionsl­os)
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Gerold Wucherpfen­nig (CDU
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Werner Pidde (SPD)
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Jens Krumpe (fraktionsl­os)
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Klaus Rietschel (fraktionsl­os)
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Dieter Hausold (Linke)
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FOTOS: PARTEIEN/DPA/PETER COTT Christine Lieberknec­ht (CDU)
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Diana Skibbe (Linke)
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Ina Leukefeld (Linke)
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Elke Holzapfel (CDU)
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Frank Kuschel (Linke)
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Margit Jung (Linke)
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Jörg Kubitzki (Linke)
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Manfred Grob (CDU)
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Wolfgang Fiedler (CDU)

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