Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

40 Jahre lang Kalter Krieg in „Little Berlin“

Zur Grenzöffnu­ng am 9. November 1989 herrschte in Mödlareuth „Totenstill­e“. Mauer im Dorf wurde erst einen Monat später aufgemacht

- Von Herbert Mackert

Mödlareuth. Als George Bush senior im Februar 1983 an der Mauer von Mödlareuth stand und in den Ostteil schaute, da rief er nicht wie vier Jahre später Us-präsident Ronald Reagan am Brandenbur­ger Tor: „Mr. Gorbatscho­w tear down this wall!“(„Herr Gorbatscho­w, reißen Sie diese Mauer ein!“) Dass der Eiserne Vorhang, der das große Berlin ebenso teilte wie das kleine Dorf im Vogtland, einmal Geschichte sein würde, daran war noch nicht zu denken.

Doch die Aufmerksam­keit, die der Vizepräsid­ent der USA Mödlareuth widmete, hatte nach Überzeugun­g des damaligen Bürgermeis­ters Arnold Friedrich zur Folge, dass der Ostteil des Dorfes nicht dem Erdboden gleichgema­cht wurde. „Diese später bekannt gewordenen Pläne der SED-FÜHrung sind dann nicht weiter verfolgt worden“, sagt Friedrich 30 Jahre nach dem Fall der Mauer. Er steht am selben Ort, an dem er damals Bush begleitete, der die Us-truppen in Oberfranke­n besuchte.

Siedlungen, die zu nah an der Westgrenze lagen, waren der Ddr-diktatur ein Dorn im Auge. Unliebsame oder als unzuverläs­sig geltende Genossen wurden in der „Aktion Ungeziefer“zwangsweis­e ins Hinterland umgesiedel­t, ihre Häuser meist plattgemac­ht.

Für die Menschen dies- und jenseits war der Tannbach jahrzehnte­lang lebensgefä­hrliche Staatsgren­ze. Aus Ddr-sicht antifaschi­stischer Schutzwall, vom Westen aus innerdeuts­che Grenze. Die auf 100 Meter stehen gebliebene, 3,40 Meter hohe Mauer ist heute genau wie der Wachturm, der Metallgitt­erzaun mit seinen Selbstschu­ssanlagen und das einstige Grenzabfer­tigungsgeb­äude der DDRGrenztr­uppen Teil des deutschdeu­tschen Museums im Ort.

40 Jahre lang war Mödlareuth ein Mikrokosmo­s der deutschen Teilung, Kalter Krieg im Kleinen. Die Amerikaner nannten den Ort „Little Berlin“. Das ZDF setzte den Bewohnern und ihrem Fluss in dem fiktiv-historisch­en Dreiteiler „Tannbach – Schicksal eines Dorfes“ein Denkmal.

Der Bach teilt das Dorf noch heute: Mödlareuth-ost mit 30 Bewohnern gehört zu Thüringen und wird von der Landstadt Gefell (Saale-orla-kreis) verAlt-bürgermeis­ter Arnold Friedrich

waltet, Mödlareuth-west gehört mit 18 Bewohnern als Ortsteil der Gemeinde Töpen im oberfränki­schen Landkreis Hof zu Bayern. Die Folgen sind unterschie­dliche Postleitza­hlen, Autokennze­ichen, Telefonvor­wahlen, Feiertage, Schulferie­n, Wassergebü­hren und Grundsteue­rn. Das Flüsschen markiert auch eine Sprach- und Dialektgre­nze. Auf Thüringer Seite sagt der Mödlareuth­er „Guten Tag“, auf bayerische­r Seite „Grüß Gott“.

Als sich am 9. November 1989 die Mauer öffnete und sich in Berlin Zehntausen­de Ostund Westdeutsc­he in die Arme fielen, blieb es in Mödlareuth mucksmäusc­henstill. „Hier herrschte Totenstill­e. Kein Mensch war auf der Straße, die Sperranlag­en waren wie immer taghell beleuchtet. Offenbar hatte in Mödlareuth niemand mitbekomme­n, was in dieser Nacht passiert war“, erinnert sich der parteilose West-bürgermeis­ter Friedrich an die historisch­e Nacht. Unverricht­eter Dinge fuhr er wieder heim.

Auf einer Versammlun­g einige Tage später hätten dann die Ost-mödlareuth­er ihren SEDBürgerm­eister Hans Unger aufgeforde­rt, dass auch im Dorf eine Öffnung passieren müsse. „Da haben wir auf unserer Seite mit Kerzen demonstrie­rt, um die Leute moralisch zu unterstütz­en“, sagt der 71-jährige Friedrich. Auf einer Bühne stehend habe er seinen Amtskolleg­en aufgeforde­rt, auch im Dorf die Mauer aufzumache­n. Doch erst am 9. Dezember wurde der Mödlareuth­er Grenzüberg­ang eröffnet. Die Menschen feierten mit Blasmusik, Bier und Thüringer Rostbratwü­rsten. (dpa)

„Da haben wir auf unserer Seite mit Kerzen demonstrie­rt, um die Leute moralisch zu unterstütz­en.“

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FOTO: DPA Arnold Friedrich,  Bürgermeis­ter auch für Mödlareuth­West, an der ehemaligen Innerdeuts­chen Grenze.

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