Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Der Osten als „Steueroase“?
Fdp-parteichef Lindner will für die neuen Bundesländer für zehn Jahre niedrigere Körperschaftsteuern
Berlin. Drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall hat eine Idee aus wirtschaftlich bewegten Wendezeiten wieder Konjunktur: ein Sondersteuergebiet Ost. Eine Woche vor der Wahl in Thüringen holt die FDP, die in Erfurt um den Einzug in den Landtag zittern muss, ein Konzept aus der Schublade, das ihr damaliger Vorsitzender Otto Graf Lambsdorff bereits 1990 verfolgte. Der legendäre „Marktgraf“lieferte sich seinerzeit nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl eine veritable politische Schlacht mit der Union über eine Sondersteuerzone Ost.
Jetzt hat FDP-CHEF Christian Lindner die Idee wiederentdeckt. In einem unserer Redaktion vorliegenden Konzept kritisieren die Liberalen, dass der wirtschaftliche Aufholprozess der ostdeutschen Länder bis heute von bundesweit einheitlichen Unternehmenssteuersätzen behindert werde. „Deutschland hat eine der höchsten Steuerbelastungen weltweit. Während die westdeutschen Konzerne damit halbwegs zurechtkommen, ist es für die ostdeutschen Standorte schwieriger, unter gleichen steuerlichen Bedingungen wettbewerbsfähig zu sein“, heißt es. Andere Länder wie Polen hätten schon in den 1990er-jahren steuerlich attraktive Sonderwirtschaftszonen erfolgreich eingerichtet. Ostdeutschland könne nicht darauf warten, dass die große Koalition aufwache und sich dem internationalen Steuerwettbewerb stelle. „Es darf nicht noch einmal 30 Jahre dauern, bis wir gleiche Zukunftschancen in ganz Deutschland haben“, sagt Lindner. Seine Partei, die bei den Wahlen in Brandenburg und Sachsen am 1. September jeweils an der Fünfprozenthürde gescheitert war, leitet daraus die Forderung ab, nun ein auf zehn Jahre befristetes Sondersteuergebiet Ost einzurichten. Dazu soll der bundesweit einheitliche Körperschaftsteuersatz von 15 Prozent aufgehoben werden. „Wir wollen die Höhe des Körperschaftsteuersatzes freigeben und den Ländern ermöglichen, den Steuersatz künftig selbst festzulegen.“Dadurch entstehe ein Steuerwettbewerb zwischen den Ländern. Die ostdeutschen Länder hätten eine Chance, sich als attraktiver Standort zu präsentieren.
Der FDP schwebt vor, dass die ostdeutschen Länder ihre Körperschaftsteuern auf zehn Prozent absenken. Wer aber soll für grob geschätzte Einnahmeausfälle von einer Milliarde Euro jährlich aufkommen? Der Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). Im vergangenen Jahr zahlten die Unternehmen in den fünf ostdeutschen Ländern (ohne Berlin) nach Angaben des Finanzministeriums rund 2,95 Milliarden Euro Körperschaftsteuer. Bei einem Steuersatz von zehn Prozent würde das Aufkommen auf knapp zwei Milliarden Euro sinken. Das Geld aus der Körperschaftsteuer teilen sich Bund und Länder je zur Hälfte. In diesem Fall fordert die FDP, dass der Bund die Einnahmeausfälle allein kompensieren würde, indem er den OstLändern weitere Umsatzsteueranteile zuteilt.
Außerdem schlagen die Freidemokraten vor, die Gewerbesteuerumlage im Osten zu reduzieren oder ganz zu streichen. Dies würde zu weiteren Einnahmeausfällen führen, die ebenfalls der Bund vollständig auffangen soll. In der Summe gehen die Liberalen davon aus, dass ihre Steueranreize für die ostdeutsche Wirtschaft dem Bund jährliche Mindereinnahmen von insgesamt rund 1,5 Milliarden Euro bescheren würden. Diese könnten sich im besten Fall halbieren, wenn die Steuersenkungen erhoffte Wachstumsund Beschäftigungsimpulse im Osten tatsächlich auslösen würden.
Eine Steueroase Ost. Kann das funktionieren? Skepsis ist angebracht. Bereits im Wendejahr 1990 warnte der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) vor nicht kontrollierbaren Mitnahme- und Umgehungsmöglichkeiten. Unternehmen könnten ihren Firmensitz oder Produktionsteile auf dem Papier von West nach Ost umsiedeln, nur um die Steuervorteile abzugreifen. Wer wollte in der Praxis kontrollieren, ob die Maschinen unverändert irgendwo im Ruhrgebiet liefen oder wirklich in Jena, Bautzen oder Chemnitz? Die personell unterbesetzten Landesfinanzverwaltungen wären dazu gar nicht in der Lage. Und fraglich wäre, ob nach dem Auslaufen der Steuervergünstigungen in zehn Jahren geschaffene Arbeitsplätze nicht wieder verschwinden würden.
Hinzu kommt, dass die Europäische Union selbst eine der größten Sonderwirtschaftszonen der Welt ist. Die EU-KOMmission achtet im Binnenmarkt penibel auf die Einhaltung des Beihilferechts, um einen Steuerund Subventionswettlauf zu verhindern. Selbst mit einer niedrigeren Körperschaftsteuer dürften Standorte in Südosteuropa für Global Player unverändert attraktiver sein. Immerhin steht die FDP mit ihren Überlegungen nicht allein. Vor wenigen Wochen zeigte die Cdu-vorsitzende Annegret Kramp-karrenbauer im Ost-wahlkampf Sympathie für Sonderwirtschaftszonen – etwa in der Lausitz. Von Steueranreizen sprach AKK nicht, eher von schnelleren Genehmigungs- und Planungsverfahren.
Aber warum sollten diese auf den Osten beschränkt sein? Der Bund will beim Kohleausstieg klotzen, um soziale Verwerfungen und eine weitere Stärkung der AFD zu verhindern. So sollen in den kommenden Jahren mindestens 40 Milliarden Euro für den Strukturwandel in den Braunkohlerevieren in Brandenburg, Nordrhein-westfalen, Sachsen und Sachsen-anhalt investiert werden. Braucht es bei so einem Konjunkturprogramm noch eine Steueroase Ost?
Einnahmeausfälle soll der Bund begleichen