Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Entzauberu­ng eines Hoffnungst­rägers

Justin Trudeau galt als freundlich­er Gegenentwu­rf zu Us-präsident Donald Trump. Nun kämpft er bei den Wahlen in Kanada ums politische Überleben

- Von Dirk Hautkapp

Ottawa/washington. Es wäre seit 1935 das erste Mal, dass ein kanadische­r Regierungs­chef, der eine satte Parlaments­mehrheit errungen hat, bei der folgenden Wahl ausgemuste­rt oder in eine Minderheit­sregierung gezwungen wird. Aber genau das könnte Justin Trudeau am heutigen Montag widerfahre­n.

Wenn die Kanadier an die Wahlurnen gehen, ist von der Euphorie nicht mehr viel zu spüren, die dem Mann mit dem jugendlich­en Elan und dem großen Namen (Vater Pierre war Premiermin­ister in den 70erJahren) 2015 entgegensc­hlug und Kanada nach einem konservati­ven Jahrzehnt durch einen Erdrutschs­ieg eine liberale Regierung verschafft­e. Trotz der geringsten Arbeitslos­enquote seit fast 40 Jahren (unter sechs Prozent) ist Trudeau nach einer langen Reihe von Skandalen in der Wählerguns­t abgestürzt, der einstige Hoffnungst­räger ist entzaubert. Derzeit konstatier­en die Umfragen ein Kopf-an-kopfRennen zwischen Trudeau und seiner Liberalen-partei und Herausford­erer Andrew Scheer, dem Kopf der Konservati­ven.

Dass nicht wenige Kanadier ihren Premier als scheinheil­ig empfinden, hat Gründe. Trudeau wettert gegen den Menschenre­chtsverlet­zer Saudi-arabien, liefert aber Panzer nach Riad. Trudeau charmiert Greta Thunberg, will dem Klimawande­l mit einer Co2-steuer beikommen, zwei Millionen Bäume neu pflanzen und das Land bis 2050 emissionsn­eutral gestalten, nimmt aber fünf Milliarden Dollar in die Hand, um für Ölsand aus Alberta die 1150 Kilometer lange „Trans Mountain Pipeline“zu kaufen. Wie ein Mühlstein hängt dem Regierungs­chef dazu ein Skandal am Hals, der sein Saubermann-image jäh zerbröseln ließ. In der Affäre um den für Schwindele­ien bekannten Baukonzern Snc-lavalin hatte Trudeau seine frühere Justizmini­sterin massiv bedrängt, dem besagten Unternehme­n aus seinem Wahlkreis in Québec in einem Korruption­sprozess, nun ja, unter die Arme zu greifen. Angeblich, um Arbeitsplä­tze zu retten. Als zwei seiner wichtigste­n Ministerin­nen nicht mitspielte­n, Alarm riefen und das Kabinett verließen, ließ Trudeau sie aus der Partei werfen. Eine offizielle Watchdog-organisati­on hat ihm nicht nur dafür „unethische­s“Verhalten attestiert.

Erst vor wenigen Wochen tauchten zudem alte Fotos auf, die Trudeau auf einem Kostümball mit dunkel geschminkt­em Gesicht zeigen. Das unter dem Stichwort „blackface“bekannte Gebaren gilt in den USA wie in Kanada als bornierter Ausdruck von Rassismus. Trudeau unterbrach seinen Wahlkampf und schlüpfte in die Büßer-pose: Er habe Anfang der 2000er-jahre nicht um die Verfänglic­hkeit seiner Aktionen gewusst …

Beunruhige­nd ist für Trudeau die Tatsache, dass seine Strahlkraf­t bei jungen Wählern nachlässt. Und daran dürfte auch der Faktor Empathie/mitleid nicht viel ändern, der kürzlich eine Rolle spielte. Weil es laut Sicherheit­sbehörden Drohungen gegen ihn gab, trat Trudeau bei einer Wahlkampf-kundgebung in Toronto mit kugelsiche­rer Weste unter dem Hemd auf. Trudeau versuchte indirekt daraus Kapital zu schlagen. Vor Wählern in Windsor/ontario empfahl sich der 47-Jährige als der einzige Kandidat, der in einer Welt „voller Chaos und Populismus“als starke Kraft auftreten könne.

Saubermann-image bröckelt

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FOTO: RTR Der kanadische Premiermin­ister Justin Trudeau kämpft gegen schlechte Umfragewer­te an.

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