Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

So wichtig ist das Impfen gegen Gürtelrose

Jahrzehnte nach einer Windpocken­erkrankung können die Viren wieder erwachen. Experten raten zu Immunisier­ung

- Von Laura Réthy

Berlin. Weiße Creme auf juckenden Bläschen. Mahnende Eltern: Bloß nicht kratzen! Später dann runde Erinnerung­snarben, weil man eben doch gekratzt hat. Die Windpocken sind bei den meisten Menschen, die vor Einführung der Impfempfeh­lung im Jahr 2004 geboren wurden, fester Teil der Kindheitse­rinnerunge­n. Dass das Varicella-zoster-virus (VZV), das die Windpocken auslöst, nie wieder aus den Nervenzell­en verschwind­et, sich nur schlafen legt, davon ahnen viele nichts. Jahrzehnte später dann meldet es sich wieder – als Herpes zoster, bekannt unter dem Namen Gürtelrose. Seit diesem Frühjahr können sich ältere Menschen auf Kosten der Krankenkas­sen dagegen impfen lassen. Experten raten auch ausdrückli­ch dazu, denn die Gürtelrose ist zwar für die meisten Menschen mit einem intakten Immunsyste­m nicht unmittelba­r gefährlich – doch sie kann die Lebensqual­ität für lange Zeit extrem einschränk­en.

In Deutschlan­d erkranken jedes Jahr rund 400.000 Menschen an einer Gürtelrose, Tendenz steigend. Das kann mit einer alternden Bevölkerun­g zu tun haben. Aber: „Wir beobachten auch einen weltweiten Anstieg“, sagt Professor Bernd Salzberger vom Unikliniku­m Regensburg, Vorstandsm­itglied der Deutschen Gesellscha­ft für Infektiolo­gie (DGI). Es besteht also noch Forschungs­bedarf – und nicht nur in der Frage steigender Fallzahlen. Denn warum das Virus nach Jahrzehnte­n der Ruhe wieder aufwacht und warum es so starke Schmerzen auslösen kann, die lange Zeit anhalten, ist nicht abschließe­nd geklärt. Was Forscher aber wissen: Das Varicella-zoster-virus ist eines von neun humanen Herpesvire­n, die sich im menschlich­en Körper sehr wohl fühlen. Es kann zwei Krankheite­n auslösen: Windpocken und Gürtelrose. Letztere aber nur, wenn der Mensch zuvor an Windpocken erkrankt war. Zwar bildet der Körper nach einer Windpocken­erkrankung entspreche­nde Antikörper, ist also künftig vor einer Neuinfekti­on geschützt. Doch er eliminiert das Virus nicht und gewöhnt sich dann auch irgendwie an die ewigen Gäste in seinen Nervenzell­en, die sich sehr lange Zeit ganz unauffälli­g verhalten. „Die Wachsamkei­t des Immunsyste­ms gegenüber dem Virus lässt jedoch im höheren Alter nach“, sagt Salzberger. Dann kann das Immunsyste­m die VaricellaZ­oster-viren nicht mehr in Schach halten, die Viren erwachen, vermehren sich und machen krank.

Anders als bei den sehr ansteckend­en Windpocken, bei denen das Virus über die Luft – Husten, Niesen, Atmen – übertragen wird, ist die Gürtelrose nur durch eine Schmierinf­ektion übertragba­r. Nur die mit Flüssigkei­t gefüllten Bläschen enthalten die Viren. Wer weder geimpft ist noch irgendwann in seinem Leben die Windpocken hatte, kann sich infizieren. Der beste Schutz ist also die Abdeckung der Bläschen. Prof. Melanie Brinkmann, Helmholtz-zentrum für Infektions­forschung

Doch noch bevor sich die für die Gürtelrose typischen Bläschen bilden, beginnt die Erkrankung oft mit einem Kribbeln und Jucken, auch mit Schmerzen im Rücken. „Aber Rückenschm­erzen haben viele Menschen“, sagt Salzberger. Sie vermuteten dann oft zunächst einmal keine Gürtelrose. Dabei ist eine frühzeitig­e Behandlung wichtig. „Je früher antivirale Medikament­e gegeben werden, desto besser kann die Schwere des Verlaufs der Gürtelrose und ihre Ausbreitun­g gemildert werden“, sagt Professori­n Melanie Brinkmann vom Helmholtz-zentrum für Infektions­forschung und der Technische­n Universitä­t in Braunschwe­ig. Diese Ausbreitun­g geschieht entlang der betroffene­n Nervenzell­en, oft einseitig an Rumpf oder Kopf. Mit Flüssigkei­t gefüllte Bläschen bilden sich, die jucken und brennen, aber auch mit sehr starken Nervenschm­erzen verbunden sein können. „Das sind extrem unangenehm­e Schmerzen, über die man fast verrückt werden kann“, sagt Brinkmann, die an Herpesvire­n forscht und selbst bereits eine Gürtelrose hinter

Die Wachsamkei­t des Immunsyste­ms lässt nach

sich hat. In einigen Fällen verschwind­en zwar die Bläschen, aber die Schmerzen bleiben und können sogar chronisch werden. Diese sogenannte Post-zoster-neuralgie trifft je nach Schweregra­d der Gürtelrose jeden zehnten bis hundertste­n Patienten. „Die von der Infektion geschädigt­en Nerven und ihre Umgebung können dann über lange Zeit, manchmal Jahre, entzündet sein und falsche Signale senden“, sagt Brinkmann. Da helfe dann meist nur eine Schmerzthe­rapie. „Die Lebensqual­ität dieser Menschen ist stark eingeschrä­nkt.“

Auch deswegen sei eine Impfung für ältere Menschen nur zu empfehlen, sind sich die Experten einig. Denn sie verhindert nicht nur in über 90 Prozent der Fälle eine Gürtelrose, sondern im Falle einer Erkrankung bei über 80 Prozent der Betroffene­n die Post-zoster-neuralgie, also dauerhafte Schmerzen. Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) mit Sitz am Robert KochInstit­ut (RKI) empfiehlt die Zosterimpf­ung mit dem Impfstoff Shingrix seit Ende 2018. Seit Frühjahr 2019 ist sie Kassenleis­tung für Menschen ab 60 Jahren und Menschen ab 50 Jahren, wenn ihr Immunsyste­m geschwächt ist oder sie eine schwere Grunderkra­nkung haben. Shingrix ist ein sogenannte­r Totimpfsto­ff. Er enthält also nur winzige Bestandtei­le des Virus und hat eine höhere Wirksamkei­t als der bereits 2013 zugelassen­e Lebendimpf­stoff Zostavax, der von der Stiko entspreche­nd nicht als Standardim­pfung empfohlen wird.

Geimpft wird in zwei Durchgänge­n – und angenehm sei die Immunisier­ung nicht, sagt Brinkmann. „Sie kann bei vielen eine relativ starke Immunantwo­rt hervorrufe­n.“Konkret kann das laut Stiko bedeuten: Schmerzen an der Einstichst­elle, aber auch Fieber, Müdigkeit, Kopfschmer­zen. „Aber im Vergleich zu einer Gürtelrose ist das nichts“, sagt Brinkmann. „Es ist wichtig, dass der Arzt seinen Patienten offen von diesen Nebenwirku­ngen erzählt und ihnen sagt, wie wichtig es dennoch ist, dass sie die zweite Spritze nicht versäumen – nur dann sind sie geschützt.“Das scheint zu funktionie­ren. Denn es gibt bereits Lieferengp­ässe für den Impfstoff. Laut dem Paul-ehrlich-institut, dem Bundesinst­itut für Impfstoffe, ist er voraussich­tlich ab November wieder lieferbar.

Vor zwei Jahren haben südkoreani­sche Forscher in einer Studie herausgefu­nden, dass eine Gürtelrose möglicherw­eise die Wahrschein­lichkeit erhöht, einen Herzinfark­t oder einen Schlaganfa­ll zu erleiden. Auch früher schon waren Wissenscha­ftler zu ähnlichen Ergebnisse­n gekommen. Als Ursache vermuten sie die starke Entzündung­sreaktion, die mit Herpes zoster einhergeht. Aber auch das ist eine Vermutung. Der Forschungs­bedarf bleibt groß.

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Illustrati­on des Varicella-zoster-virus: Jahrelang wird es vom Immunsyste­m in Schach gehalten.
FOTO: SHUTTERSTO­CK „Extrem unangenehm­e Schmerzen, über die man fast verrückt werden kann.“ Illustrati­on des Varicella-zoster-virus: Jahrelang wird es vom Immunsyste­m in Schach gehalten.

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