Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Die Fichte verschwind­et

Der Borkenkäfe­r hat sich in vier Generation­en ausgebreit­et, er ruiniert den Bestand und die Holz-einnahmen

- Von Gerald Müller

Schleiz. Was für ein traumhafte­r Blick. Die Saale schlängelt sich durchs Tal, der Molmitzgru­nd könnte die Kulisse für einen Märchenfil­m sein. Doch dann hebt Dirk Meisgeier, auf dem Kobersfels­en nahe Schleiz stehend, den Arm und weist in Richtung Nonnenwald. „Da drüben zeigt sich das ganze Dilemma.“

In sattem Grün recken sich Eschen, Lärchen, Weißtannen und Douglasien, „unsere Hoffnungsb­aumarten.“Doch nur wenige Meter entfernt stehen Fichten, mit kümmerlich­er Krone und gebrochene­n Ästen. „Die sterben, die haben wir aufgegeben“, so der Geschäftsf­ührer des Waldbesitz­erservice. Und er verändert ein wenig die Tonlage: 2020 sei „apokalypti­sch“. Denn der Borkenkäfe­r hat sich noch stärker als im vergangene­n Jahr ausgebreit­et.

Das ergab die Auswertung entspreche­nder Fallen, die eine Hochrechnu­ng der Population ermögliche­n. Meisgeier sagt: „Es gibt bis zu 100 mal mehr Käfer als im Vergleichs­zeitraum 2019“. Die Tiere hätten sich durch den langen Spätsommer und den letzten milden, niederschl­agsarmen Winter erstmals in vier Generation­en vermehrt. Gewaltig, wenn man bedenkt, dass sich aus einem Käfer – egal ob Buchdrucke­r oder Kupferstec­her – bis zu 200.000 Nachfahren bilden können.

20 Euro gibt es für den Festmeter, 2017 waren es über 70

Und die greifen die schwächeln­de Fichte an. Eine einstige Monokultur, die nicht mehr zeitgemäß ist. Der Schrei nach Mischwälde­rn, nach anderen Baumarten, ist laut geworden. Die Fichte, deren Waldanteil nach Schätzung von Meisgeier in den kommenden zehn Jahren von 80 auf 10 Prozent sinken wird, bringt kein Geld mehr, die Preise für sie verfallen immer weiter. „Es lohnt sich für uns nicht, die Schäden zu beseitigen, also das Holz aus dem Wald zu räumen.“

Nur 20 Euro gibt es für einen Festmeter. 2017 waren es noch über 70, 2019 wenigstens noch 35. „Das ist alles andere als wirtschaft­lich“, seufzt Frank Weise, Geschäftsf­ührer der Forstbetri­ebsgemeins­chaft „Dürrbachgr­und“. Die Festmeter stapeln sich im Wald, auch die Lager sind voll und die Sägewerke kommen nicht mehr hinterher, das Holz abzutransp­ortieren und zu verarbeite­n. „Das Räumen kostet mit über 30 Euro inzwischen mehr als ein eventuelle­r Ertrag aus dem Verkauf“, erklärt Weise. Der Markt sei durch das vom Borkenkäfe­r geschädigt­e Holz, das ohnehin nur für Zellstoff, Toilettenp­apier oder Taschentüc­her verwendet werden kann, völlig übersättig­t. Normalerwe­ise müssten alle alten und krandiesen ken Bäume raus sowie möglichst neue rein. Doch die Wiederauff­orstung stockt.

Meisgeier und Weise verlangen von der Landesregi­erung weitere finanziell­e Unterstütz­ung, auch wenn im vergangene­n Jahr für private und kommunale Waldbesitz­er bereits rund zehn Millionen Euro ausgeschüt­tet wurden und für 2020 insgesamt 25 Millionen an Hilfe zugesagt wäre. „Das reicht angesichts der Schäden nicht. Wir brauchen eine Flächenprä­mie ähnlich der Landwirtsc­haft“, fordern die Waldbesitz­er, die die Zusammenar­beit mit Landesgese­llschaft Thüringenf­orst und mit den Kommunen ausdrückli­ch loben. Aber Meisgeier mahnt: „Der Käfer ist schneller, als derzeit die Mühlen der Verwaltung mahlen.“Es müsse geklärt werden, welche Maßnahmen sinnvoll und kurzfristi­g umsetzbar sind. „Wenn wir gemeinsam nicht noch mehr tun, dann wird aus dem grünen Herzen Deutschlan­ds ein brauner Schandflec­k, ein Scheiterha­ufen“, prophezeit er.

Der Friedhof der Bäume ist gerade im Schleizer Land, das einst als fichtenrei­chstes Gebiet der DDR

junger Baum in galt, besonders groß. Dirk Meisgeier vertritt in Ostthüring­en 5000 private Waldbesitz­er, denen zusammen 20.000 Hektar gehören. Insgesamt gibt es in Thüringen 180.000 Waldbesitz­er.

In fast allen Regionen des Freistaate­s bietet sich mittlerwei­le ein trauriges Bild von Fichten beziehungs­weise von dem, was von ihnen noch übrig geblieben ist: bleiche Stämme, nadellose Äste, winzige Stümpfe. Das Milliarden­heer der Borkenkäfe­r legt ganze Wälder flach, zerstört das Versorgung­ssystem von Millionen Bäumen, weil es an Wasser im Wurzelwerk und damit an Halt mangelt, zudem der Harztropfe­n für die Abwehr fehlt. Selbst die Buche, die Mutter des Waldes, die ihn eigentlich fit halten soll, ist inzwischen ein Opfer des Klimawande­ls. Sie stirbt flächenmäß­ig dahin - auch in der Vorzeigere­gion Hainich. Esche und Ahorn-gehölz werden zudem vom Pilz bedroht. Nicht nur wirtschaft­lich, auch ökologisch ist der Schaden gewaltig, denn der Wald bindet entscheide­nd Kohlendiox­id.

Und so hoffen jene, die den Wald lieben, ihn brauchen, von ihm leben, dass bei der Rettung keine Zeit verloren wird. „Wir müssen schnell handeln“, so Meisgeier, „dürfen nicht untätig zusehen, wie der Wald an Schönheit und Kraft verliert.“

Die derzeitige Witterung mit viel Niederschl­ag beruhigt ihn ein wenig. Weil damit zumindest die Aussichten betreffs der Borkenkäfe­rvermehrun­g für 2021 günstiger sind. Doch diese ändern nichts daran, dass der Wald in Zukunft ein anderer sein wird. Noch ist er oft märchenhaf­t schön. Aber leider könnte in mancher Region schon ein Horrorfilm gedreht werden.

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FOTOS: SASCHA FROMM (4) Borkenkäfe­rplage in Thüringen: Ein betroffene­s Waldgebiet bei Schleiz, deutlich sind im Foto die toten Fichten zu erkennen.
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Dirk Meisgeier von der WBS Waldbesitz­er Service Gmbh und Frank Weise, Geschäftsf­ührer Forstbetri­ebsgemeins­chaft (links).
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Plagen im Wald: Nur wenige Millimeter groß ist der Borkenkäfe­r, aber die Schäden die er mit seinen Artgenosse­n anrichtet, sind enorm.
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Aufforstun­g: Ein einer Wuchshülle.

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