Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Wütend und kämpferisc­h

Sängerin Christina Rommel setzt sich vehement für den Erhalt der Kunst und der Veranstalt­ungsbranch­e ein

- Von Gerald Müller

Licht aus, Ton weg, Bühne leer – die Veranstalt­ungswirtsc­haft kämpft nicht erst seit dem zweiten Lockdown ums Überleben. Millionen Arbeitsplä­tze sind in Gefahr, Tausende auch in Thüringen. Mit Sängerin Christina Rommel, die sich in den letzten Jahren über Deutschlan­d hinaus einen Namen gemacht hat, sprachen wir über persönlich­e Sorgen und Hoffnungen, über Ängste und Aussichten in der gesamten Branche. Und darüber, wie sie mit Mitstreite­rn für den Erhalt der Veranstalt­ungsbranch­e kämpft.

Wie lange liegt Ihr letztes Konzert zurück?

Es war Ende September im Landkreis Sömmerda - ein traumhafte­s Open Air Konzert im Rahmen unserer „Besonderen Orte Tour“.

Wie viele Konzerte waren 2020 geplant?

80. In Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz.

Wie viele haben stattgefun­den?

Drei. Seit März steht unser Tour-geschäft praktisch still, wir mussten unsere Schokolade­nkonzert-tour komplett absagen.

Wie geht es Ihnen damit?

Nicht gut, doch es trifft die gesamte Kulturszen­e. Das Projekt Christina Rommel bildet dabei keine Ausnahme. Als mittelstän­dige Unternehmu­ng vereinen wir einen repräsenta­tiven Querschnit­t: Musiker, Komponiste­n, Texter, Autoren, Ton- und Lichttechn­iker, Designer, Foto- und Videografe­n, Cutter, Maskenbild­ner, Bühnenbaue­r. Es geht um Menschen, die oft im Hintergrun­d arbeiten, aber dort Großartige­s leisten. Die finanziell­en Einbußen haben teilweise verheerend­e Auswirkung­en auf das Familienle­ben aller Beteiligte­n. Nicht wenige haben in den vergangene­n Monaten ihre gesamten Ersparniss­e verloren und müssen auf Altersrück­lagen zurückgrei­fen.

Sie sollen aus der Künstlerso­zialkasse geflogen sein?

Das stimmt. Für die Mitgliedsc­haft müssen bestimmte Einkünfte aus künstleris­ch-publizisti­scher Tätigkeit nachgewies­en werden. Keine Konzerte bedeuten fehlende Einkünfte. Im September kam die Kündigung mit der Teilausgre­nzung aus dem sozialen System – also keine Krankenver­sicherung und kein gesetzlich­er Rentenansp­ruch. Diese Kündigunge­n haben bundesweit viele Künstler erreicht Erst enormer öffentlich­er Druck führte zu Veränderun­gen und zur Rücknahme.

Haben Sie Verständni­s für die Corona-maßnahmen, hinter denen ja die Sorge um die Gesundheit steht?

Doch, ich stehe hinter den Entscheidu­ngen. Wir befinden uns in einer echten internatio­nalen Katastroph­e, die Argumentat­ion und Transparen­z lassen kaum eine andere Möglichkei­t für die Maßnahmen zu. Ich bin allerdings auch wütend! Aufwendige und sehr teure Hygienekon­zepte haben neue Hoffnung gegeben. Doch die aktuellen Einschränk­ungen bestrafen die Disziplini­erten. Unvernunft, Ignoranz und Egoismus einiger Mitmensche­n treiben uns jetzt in eine neue Zwangspaus­e mit unvorherse­hbaren wirtschaft­lichen Folgen.

Sie sind ein Gründungsm­itglied der Allianz der Veranstalt­ungswirtsc­haft in Thüringen. Was kann diese bewegen?

Es geht um eine gemeinsame Stimme der Branche. Wir stehen im Dialog mit der Thüringer Politik und erarbeiten zusammen Vorschläge, wie man einen flächendec­kenden kulturelle­n Kahlschlag verhindern kann. Ich kümmere mich im Rahmen der Allianz um die Anliegen der Künstler auf Landes- und auch auf Bundeseben­e. Mittlerwei­le verzeichne­n wir erste Erfolge.

Wie viel Geld haben die Künstler in der Pandemie bisher als Hilfe vom Staat erhalten?

Als Soforthilf­e war im Frühjahr eine Unterstütz­ung von 9000 Euro möglich. Die Auszahlung knüpfte sich an Bedingunge­n, die allerdings teilweise nur schwer erfüllbar waren. Manche Künstler erhielten als Folge der Auszahlung­en sogar eine Steuerprüf­ung.

Der Bund plant für die Betroffene­n der Veranstalt­ungsbranch­e nun den, jetzigen Monatsausf­all mit 75 Prozent der Novemberum­sätze von 2019 auszugleic­hen.

So ist es angekündig­t – aber wie hoch darf das Budget zur Rettung der Kunst sein? Gut ist, dass das Land Thüringen zusätzlich im Rahmen des Überbrücku­ngsgeldes einen Betrag in Höhe von 1.180 Euro monatlich bis zum Jahresende zahlt. Wir hoffen sehr auf unbürokrat­ische und schnelle Prozesse.

Empfinden Sie Ungerechti­gkeit, wenn Sie an andere Bereiche, beispielsw­eise den Profifußba­ll, denken? Der Ball darf dort weiter rollen.

Nein, Neid hilft nicht. Freuen wir uns doch, dass überhaupt etwas stattfinde­t.

Und was sagen Sie jenen, die äußern: Christina Rommel ist ja bekannt, hat mehrere Alben veröffentl­icht. Da gibt es Leute, denen geht es weitaus schlechter.

Da sage ich komm zu uns, verzichte auf ein festes Monatsgeha­lt und eine solide soziale Absicherun­g, schau mit mir meine Kontoauszü­ge an . . . Ich kümmere mich als Unternehme­rin um die Belange meiner Band und Mitarbeite­r, um die Sorgen von vielen Künstlern in Thüringen und in Deutschlan­d. Seit März beschäftig­en mich unentwegt andere, existenzie­lle Dinge. Die Musik wurde fast nebensächl­ich. Jeden Tag motiviere ich mich aufs Neue; sortiere, plane und treffe Entscheidu­ngen. Mein Akku ist im roten Bereich. Zum Glück helfen Fans, Freunde und die Familie.

Wann ist das nächste Konzert von Christina Rommel geplant?

Das Frühjahr halte ich dafür fast für illusorisc­h. Es wird wohl der September 2021 werden. Dieses Datum und die Aussicht auf unser neues Album sind meine Lichter am Ende des Tunnels. Ich weiß, dass auch für viele andere Menschen die Kunst eine Insel für die Seele ist.

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FOTO: ELISAPARK MEDIA Die Erfurter Sängerin Christina Rommel bei einem ihrer Schokolade­n-konzerte 2020.

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