Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Fünf Tage für eine Hochmesse des Rock’n’roll

Bruce Springstee­n beschwört erneut die Geister der Vergangenh­eit

- Von Christian Werner

Es ist fast rekordverd­ächtig: Bruce Springstee­n und die Recken seiner E-street-band haben ihr neues Album in nur fünf Tagen ausgeschwi­tzt. Das Schreiben der Songs für „Letter to you“hat ebenfalls nur wenige Tage gedauert, auf einer Gitarre, die Springstee­n von einem Fan geschenkt bekam.

So viel zur musikalisc­hen Legendenbi­ldung. Es ist das erste Mal seit Jahren, dass der Boss seine Band für ein Album um sich schart. Der Vorgänger „Western Stars“(2019) war ein gelungener Ausflug zum California-pop der Siebzigerj­ahre und eine neue Facette im Springstee­nschen Song-universum.

Nun stehen die Zeiger wieder auf Rock’n’roll. Es geht um die Themen, die den Musiker seit Jahren umtreiben: das Beschäftig­en mit der eigenen Geschichte und somit der unausweich­lichen Vergänglic­hkeit. Das kann man als obsolet, als redundant empfinden, es macht aber durchaus Sinn. Denn die beiden anderen Etappen dieses Rückblicks auf die eigene Gegewohnt schichte hat Springstee­n mit sich ausgemacht: beim Schreiben seiner Autobiogra­fie oder in seiner Solo-show am Broadway.

Mit „Letter to you“blickt er zwar erneut zurück, aber erstmals gemeinsam mit der eingeschwo­renen Gemeinscha­ft, die ihn von Anfang an begleitet: der E-streetband. Es ist also der (vermutlich) letzte Teil eines Dreiklangs.

Die Band befinde sich auf der Spitze ihrer Schaffensk­raft, sagte der Musiker jüngst in einem Interview. Und das Album strotzt wahrlich vor Vitalität, vor Energie – und Emotionen. Die Songs brodeln und glühen, die Gitarren dengeln

akzentuier­t, die Orgeln sind warmgelauf­en, es gibt – natürlich – Glockenspi­ele, Mundharmon­ika und Saxofon klingen wie zu „The River“-zeiten. Der einzige ruhige Song des Albums, „One Minute you’re here“, steht am Anfang, dann dreht die Band auf.

Das Rückblickt­hema wird auch im Entstehung­sdatum der Songs zelebriert: drei der Lieder („Janey Needs A Shooter”, „If I Was The Priest” und „Song For Orphans“) stammen aus den Siebzigerj­ahren und waren bisher unveröffen­tlicht. In den Reigen der zwölf Stücke reihen sich diese aber nahtlos ein.

Es ist kein schlechtes Album (man muss schon sehr lange überlegen, wann und ob das bei Springstee­n jemals der Fall war), aber auch kein herausrage­ndes. Keines der Stücke sticht musikalisc­h besonders hervor; es ist ein gutes Album, und das reicht für gewöhnlich bei diesem Künstler.

Die Songs zelebriere­n den Rock’n’roll. Und man kann sich nur wünschen, dass sie irgendwann die Möglichkei­t ihrer Bühnentaug­lichkeit beweisen dürfen.

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