Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Fünf Tage für eine Hochmesse des Rock’n’roll
Bruce Springsteen beschwört erneut die Geister der Vergangenheit
Es ist fast rekordverdächtig: Bruce Springsteen und die Recken seiner E-street-band haben ihr neues Album in nur fünf Tagen ausgeschwitzt. Das Schreiben der Songs für „Letter to you“hat ebenfalls nur wenige Tage gedauert, auf einer Gitarre, die Springsteen von einem Fan geschenkt bekam.
So viel zur musikalischen Legendenbildung. Es ist das erste Mal seit Jahren, dass der Boss seine Band für ein Album um sich schart. Der Vorgänger „Western Stars“(2019) war ein gelungener Ausflug zum California-pop der Siebzigerjahre und eine neue Facette im Springsteenschen Song-universum.
Nun stehen die Zeiger wieder auf Rock’n’roll. Es geht um die Themen, die den Musiker seit Jahren umtreiben: das Beschäftigen mit der eigenen Geschichte und somit der unausweichlichen Vergänglichkeit. Das kann man als obsolet, als redundant empfinden, es macht aber durchaus Sinn. Denn die beiden anderen Etappen dieses Rückblicks auf die eigene Gegewohnt schichte hat Springsteen mit sich ausgemacht: beim Schreiben seiner Autobiografie oder in seiner Solo-show am Broadway.
Mit „Letter to you“blickt er zwar erneut zurück, aber erstmals gemeinsam mit der eingeschworenen Gemeinschaft, die ihn von Anfang an begleitet: der E-streetband. Es ist also der (vermutlich) letzte Teil eines Dreiklangs.
Die Band befinde sich auf der Spitze ihrer Schaffenskraft, sagte der Musiker jüngst in einem Interview. Und das Album strotzt wahrlich vor Vitalität, vor Energie – und Emotionen. Die Songs brodeln und glühen, die Gitarren dengeln
akzentuiert, die Orgeln sind warmgelaufen, es gibt – natürlich – Glockenspiele, Mundharmonika und Saxofon klingen wie zu „The River“-zeiten. Der einzige ruhige Song des Albums, „One Minute you’re here“, steht am Anfang, dann dreht die Band auf.
Das Rückblickthema wird auch im Entstehungsdatum der Songs zelebriert: drei der Lieder („Janey Needs A Shooter”, „If I Was The Priest” und „Song For Orphans“) stammen aus den Siebzigerjahren und waren bisher unveröffentlicht. In den Reigen der zwölf Stücke reihen sich diese aber nahtlos ein.
Es ist kein schlechtes Album (man muss schon sehr lange überlegen, wann und ob das bei Springsteen jemals der Fall war), aber auch kein herausragendes. Keines der Stücke sticht musikalisch besonders hervor; es ist ein gutes Album, und das reicht für gewöhnlich bei diesem Künstler.
Die Songs zelebrieren den Rock’n’roll. Und man kann sich nur wünschen, dass sie irgendwann die Möglichkeit ihrer Bühnentauglichkeit beweisen dürfen.