Thüringer Allgemeine (Sömmerda)
Entzauberung eines Traumberufs
Ex-topmodel Anne-sophie Monrad packt aus, wie es hinter den Kulissen der Modebranche wirklich zugeht
Sollte sie das etwa sein, die viel besungene, weite Modewelt? Ein schmieriger Fotograf, der es sichtlich genießt, wie eine verunsicherte Minderjährige für ein paar Testfotos trockenen Sex mit einem viel älteren Mann auf seinem schäbigen Bett hat? Für das Model Anne-sophie Monrad (29) war es 2008 das erste Shooting ihrer Karriere und auch der erste Blick in eine Branche, die Heidi Klum (47, „Germany’s Next Topmodel“) seit 2006 Scharen von Heranwachsenden schmackhaft macht.
Entdeckt mit 17 Jahren in einem Flensburger Einkaufszentrum und schon wenig später Teilnehmerin eines Castings für Prada im fernen Mode-mekka Mailand, schien damals für Monrad alles möglich und die Zukunft rosarot. Bis zu jenem Shooting. Eine Beschwerde bei ihrer Agentur über den Fotografen verpuffte folgenlos. „Stell dich nicht so an“, hieß es nur, „da musst du durch.“Sätze, die sie noch oft hören sollte.
Models seien austauschbare „Kleiderständer“– mehr nicht
Nach zehn Jahren Jetset hat die Wahl-berlinerin nun ein Buch über ihre Erlebnisse im Modelgeschäft geschrieben. Ein Jahr lang hat sie mit der Autorin Katrin Blum zusammengesessen und über ihre Erlebnisse gesprochen, abgerundet durch kritische Interviews mit Branchengrößen wie Wolfgang Joop (75) und durch Original-tagebucheinträge von Monrad selbst. Herausgekommen ist schließlich „Fashion Victim“: Es geht um das grundsätzliche Missverhältnis zwischen alleingelassenen Minderjährigen und erfahrenen und vor allem erwachsenen Branchenprofis wie damals bei Monrads erstem Fotografen.
„Die minderjährigen Neuen werden oft ins kalte Wasser geworfen, sie haben keine Gewerkschaft und niemand klärt sie auf, wie es wirklich läuft“, sagt Monrad. Zum Beispiel mit dem Essen. Die Wahrheit sieht nämlich so aus: Nur kurz reinbeißen und den Rest schnell wegwerfen. Die Portion häppchenweise essen und dann aufs Klo verschwinden. Oder sich für einen ganzen Tag ohne Mahlzeit am Abend einfach mit betäubendem Alkohol belohnen. Der ständige Kampf gegen den Hunger, das Gewicht und damit auch die eigenen Bedürfnisse sei für Frauen auf dem Laufsteg harter Alltag. Monrad sagt, sie habe am Set viele Demütigungen wegen angeblich zu vieler Pfunde einstecken müssen, obwohl sie zehn Jahre lang eines der am häufigsten gebuchten deutschen Models weltweit war. In Tokio, New York, London, Mailand und Paris ist sie unter anderem für Chanel, Givenchy, Armani, Jeanpaul Gaultier, Celine und Vivenne Westwood gelaufen. Regelmäßig als „Fatty“oder „Frau mit den Löwenfesseln“bezeichnet und wie ein Gegenstand behandelt zu werden, gehörte jedoch wie selbstverständlich zu dieser Traumkarriere.
Gerade die gesundheitlichen Schäden dieses akzeptierten Systems sind nicht zu unterschätzen. Wie das Ausbleiben der Periode wegen Untergewichts, das oft zu Unfruchtbarkeit führt. Monrad weiß deswegen nicht genau, ob sie jemals Kinder bekommen kann. Und das alles für hanebüchene Idealmaße, die im Grunde denen eines pubertierenden Mädchens entsprechen – 84/58/88: Brust, Taille und Hüfte. 90 Prozent der Kunden im Modebusiness suchen Models für die Kleidergröße 34. Zu ihren dünnsten Zeiten wog Monrad 53 Kilogramm bei 1,81 Metern Körpergröße.
2018 war für Monrad die Grenze des Erträglichen erreicht. Mit einem spontanen Instagram-post machte sie ihrem Kummer Luft. Danach wurden die Modeaufträge weniger. Ihrer Erfahrung nach sind Models oft nur austauschbare „Kleiderständer“– ist eine Frau zu „dick“oder macht den Mund auf, kommt ganz schnell eine andere.
Wobei sie nicht verschweigt, dass das Modeln durchaus romantische Aspekte hat. Niemand habe sie dazu gezwungen, Model zu werden. In einem offenen Brief warnt sie am Ende des Buchs vielmehr Anwärterinnen davor, das System der Agenturen und Modehäuser einfach so zu nehmen, wie es ist und es nicht zu hinterfragen. Sie ist sich sicher: „Mit meinem heutigen Wissen würde ich es nicht noch einmal machen.“