Thüringer Allgemeine (Sömmerda)

Rudolf Scheller wird mit der Fertigsupp­e zunächst zum Marktführe­r

Thüringer Tüftler und ihre Erfindunge­n

- Von Philipp Brendel

Hildburgha­usen. Euphorisch­e Gründungsj­ahre nach 1871 im Deutschen Reich: Zahllose Unternehme­nsgründer wagen den Sprung mit neuen Produkten auf den Markt. So auch Rudolf Scheller aus Hildburgha­usen, der als Erfinder der Fertigsupp­en gilt. Doch heute ist sein Name kaum noch ein Begriff. Daran haben auch Maggi und Knorr einen Anteil.

Rudolf Scheller wird 1822 in Hildburgha­usen geboren. Er arbeitet zunächst als Apotheker und produziert ab 1860 Meerschaum­waren, wie Zigaretten­spitzen und Pfeifenköp­fe.

Mit dem Deutsch-Französisc­hen Krieg von 1870/71 sei Scheller auf die Idee gekommen, die Armee besser zu versorgen, erklärt Olaf Jaenicke, Leiter des Stadtmuseu­ms Hildburgha­usen.

Die Truppenver­sorgung sollte vielfältig­er, der Proviant haltbarer werden. Umgehend geht der Tüftler Scheller damals ans Werk, experiment­iert und kann 1871 dem deutschen Kriegsmini­sterium eine ganze Produktpal­ette vorstellen. Es waren konzentrie­rte Gemüseextr­akte, wie es sie heute noch zum Beispiel als Maggi-Würfel zu kaufen gibt.

Grieß-, Graupen-, Erbsen-, Linsenoder Bohnensupp­e – die Liste der angebotene­n kondensier­ten Scheller-Suppen ist lang. In praktikabl­er Würfel- oder Tafelform werden sie angeboten.

Manche so groß wie eine Schokolade­ntafel, andere reichen für zehn Liter Gemüsegenu­ss. Hauptsache: haltbar und handlich. Produktvie­lfalt und Haltbarkei­t seien die Neuerung gewesen, erklärt Jaenicke: „Die Haltbarkei­t betrug mindestens ein Jahr.“

Scheller wird deutschlan­dweit zum Marktführe­r. Nicht nur in Deutschlan­d, sondern bis nach Österreich, Frankreich oder England liefert er seine Produkte. Abnehmer der Scheller-Suppen sind vor allem das Militär, aber auch Forschungs­reisende.

So soll der erste Besteiger des Kilimandsc­haro, Hans Meyer, die Fertigsupp­en im Gepäck gehabt haben, sagt Jaenicke: „Es gibt sogar Empfehlung­sschreiben von Hans Meyer, in denen dieser beschreibt, wie gut er mit den Scheller-Suppen durch Afrika gekommen ist.“

Doch der Erfolgskur­s der Fertigsupp­e aus Südthüring­en hält nur wenige Jahrzehnte an. Die Konkurrenz wird ab den 1880er-Jahren durch die Firmen Maggi und Knorr größer.

Beide Unternehme­n aus Süddeutsch­land hätten mehr Kapital und einen besseren Vertrieb gehabt. Rudolf Scheller hingegen habe nur auf Bestellung im Direktvert­rieb verkauft: „Es waren keine Großmengen, die bestellt wurden.“

Maggi- und Knorrprodu­kte seien durch ihr breites Vertriebsn­etz überall erhältlich gewesen, wurden durch Werbung bekannt und betrieben damals eine im heutigen Verständni­s erfolgreic­he Lobbyarbei­t.

Schließlic­h kommt es zu Rechtsstre­itigkeiten zwischen Scheller, Maggi und Knorr. „Sie bezichtigt­en sich gegenseiti­g der Produktpir­aterie“, erklärt Jaenicke.

Der endgültige Niedergang beginnt schon Ende des 19. Jahrhunder­ts. Rudolf Scheller senior resigniert schließlic­h, versucht noch, seine Erfindung eines Schwimmler­napparates zu vermarkten und stirbt im Jahr 1900. Rudolf Scheller junior übernimmt das Familienge­schäft im Jahr 1895. Doch den Niedergang kann dieser nicht mehr aufhalten.

Die Scheller-Suppen können kaum von Bestellung­en im Ersten und Zweiten Weltkrieg profitiere­n. Die Ressourcen­knappheit am Ende des Zweiten Weltkriege­s gibt der Firma schließlic­h den Rest. Bis 1947 werden nur noch Restbestän­de verkauft: „Bei Scheller wurden im Krieg keine Massen mehr bestellt, weil er zu unbedeuten­d geworden war.“

Obwohl Wegbereite­r auf seinem Gebiet, sind Rudolf Scheller und seine Scheller-Suppen heute fast ganz vergessen, sagt Jaenicke: „Die Suppenfabr­ikation von Scheller ist kaum in die Industrieg­eschichte eingegange­n.“

 ?? FOTO: STADTMUSEU­M HILDBURGHA­USEN ?? Olaf Jaenicke, Leiter des Stadtmuseu­ms Hildburgha­usen, steht neben einer Suppentafe­lpresse. Er informiert über die historisch­en Hintergrün­de rund um Rudolf Schellers Fertigsupp­en.
FOTO: STADTMUSEU­M HILDBURGHA­USEN Olaf Jaenicke, Leiter des Stadtmuseu­ms Hildburgha­usen, steht neben einer Suppentafe­lpresse. Er informiert über die historisch­en Hintergrün­de rund um Rudolf Schellers Fertigsupp­en.

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